Norwegen! Jetzt war es eigentlich nur noch ein Katzensprung zurück nach Deutschland. Hätten wir vor unserer Segelreise nie gedacht, dass uns ein derartiger Schlag jemals kurz und harmlos vorkommen würde. Zwar ist das Skagerrak berüchtigt für seine Strömungen und durch entsprechende Windrichtungen und -stärken entstehenden gefährlichen Seegang, aber dafür war die eigentliche Überfahrt Norwegen-Dänemark auf dem kürzesten Weg, etwa von Kristiansand nach Hirtshals, an nur einem Tag zu schaffen. Morgens in Norwegen starten, abends in Dänemark, so weit der Plan. Doch vor der Überfahrt erlebten wir noch eine der schönsten Zeiten des gesamten Segeltörns.

Die norwegische Westküste ist rau, aber landschaftlich wunderschön und in weiten Teilen durch einen vorgelagerten Schärengarten geschützt. Tausende Inseln laden zum Anlanden und Verweilen ein, während nach einem Abstecher ins Hinterland majestätische Fjorde darauf warten, erkundet zu werden. Uns so arbeiteten wir uns in einem Zick-Zack-Kurs durch die teils engen, aber immer gut kartografierten Fahrwasser in Richtung Süden vor. Norwegen tut alles dafür, dass seine Bürger sich wohlfühlen, und so gab es auch auf entlegenen Inseln niedliche Holzstege mit Picknickbänken und Grillplätzen, stets mit netten Hinweisschildern, dass man das alles gratis nutzen und sich an der Natur erfreuen darf. Von Bergen bis Stord (einer größeren Insel zwischen Bergen und Haugesund) leistete uns unser befreundetes halbnorwegisches Pärchen Alex und Amelie Gesellschaft. Das Wetter war mit Flaute und Regen teilweise mies, aber die Stimmung gut und wir spielten Karten (selbst Fredi!), quatschten und genossen die vorbeiziehende Schärenlandschaft. Pünktlich zum Von-Bord-Gehen der beiden kam wieder ein leichter Segelwind auf und wir segelten gemütlich am Wind in Richtung Haugesund und später von dort weiter bis Stavanger, jeweils mit schönen Ankerstopps in Buchten oder vor Inseln. Eine der schönsten Küstenlandschaften, die wir je befahren hatten!

In Stavanger konnten wir direkt im Stadtzentrum festmachen und ließen Moana ein paar Tage allein, denn wir waren zur Hochzeit von Björn und Katrin eingeladen und Björn war immerhin einer meiner besten Freunde. Auf dem Weg zur Trauung reanimierten wir erfolglos einen sich im Alkoholrausch zu Tode gerast habenden Motorradfahrer. Da ich nicht der größte Fan von Hochzeiten bin, empfand ich das als interessantes Alternativprogramm und wann kann man schließlich schon mal im Anzug Leute intubieren… Nachdem das Blut aus der Kleidung gewaschen war, war die Hochzeit dann aber doch richtig toll und wir hatten einen Riesen-Spaß und Björn und Katrin auch, was ja die Hauptsache war. Am nächsten Morgen war Fredi schwer erweckbar, aber ließ sich letztendlich trotzdem zur Rückreise nach Stavanger motivieren und so begrüßten wir Moana, die brav im Hafen geblieben war. Christoph und Franzi stießen zu uns und wollten uns eine Woche lang bis Kristiansand begleiten. Der Wind passte nur mäßig gut und so schlug Fredi spontan und überraschend vor, ins Landesinnere in den Lysefjord zu segeln, das wäre landschaftlich gewiss ein Highlight und von Stavanger trennten die beiden am Ende der Woche ja auch nur eine 3-stündige Bus- oder Zugfahrt. Die Zustimmung war groß und bei perfektem Sommerwetter nutzten wir den wenigen Wind für eine Schleichfahrt durch die komplett ruhige See.

Der Lysefjord ist einer der beeindruckendsten Norwegens: Schmal und langgezogen wird er im hinteren Teil von steilsten Felswänden umgeben und bietet gleich zwei touristische Highlights: den Kjeragbolten, einen runden, in einer Felsspalte eingeklemmten begehbaren Felsblock, 1000m vertikal über dem Fjord und mit entsprechend schwindelerregender Perspektive, wenn man oben ist, und den Preikestolen, ein ebenens Felsplateau auf über 600m Höhe, von dem die Wände ebenfalls senkrecht bis in den Fjord abfallen. Von Land aus kannten wir beides schon, waren wir vor einigen Jahren doch drei Tage lang mit Rucksack und Zelt entlang des Lysefjord gewandert. Teils unten am Ufer, teils auf dem über 1000m hohen Hochplateau, das wir über die “Flørlitrappen” erreicht hatten, die Begleittreppe einer ehemaligen Bergbau-Standseilbahn. 780 Höhenmeter legt man dort ausschließlich auf einer steilen, aus 4444 Treppenstufen bestehenden Treppe zurück. Entsprechend brannten die Oberschenkel nach dem Aufstieg mit vollem Zeltgepäck. Diesmal war es leichter und die einzige kleine Anstregung bestand im Überholen der Genua, während wir Wende für Wende den Fjord entlangkreuzten. Von unten erschienen die Menschenmengen auf dem Preikestolen wie eine Ameisenkolonie und bis auf die uns gelegentlich passierenden Ausflugsschiffe herrschte eine wunderbare Stille auf dem Fjord. Das Wasser ist bis zu den Ufern extrem tief und so konnten wir so nah an die die Felsklippen hinunterstürzenden Wasserfälle heranfahren, sodass wir fast vom Bug hätten an Land steigen können.

 

 

 

 

 

 

 

 

Auch an den nächsten Tagen verzichteten wir weitgehend auf den Motor und genossen die Segelei im Schneckentempo durch die Fjorde, ankerten vor Inseln, wanderten und kletterten sogar an einem ufernahen Sportklettergebiet. Es war sogar ein sehr ufernahes Sportklettergebiet, beim Sichern bekam man fast nasse Füße. 🙂

Christoph ging schon in Jørpeland von Bord und stieg in den Bus nach Hause, Franzi begleitete uns noch bis in den Hafen von Tananger, Fredi und ich setzten die Reise allein fort. Es war Flaute angesagt und wir mussten bis Egersund motoren, leider blieb es nicht einmal bei der Flaute, sondern wir bekamen auch noch Wind von vorn und zwar nicht zu wenig. Mit Strom von vorn war Aufkreuzen keine Option, umkehren wollten wir nach bereits 25-30 zurückgelegten Seemeilen auch nicht mehr und so bolzten wir mit Motorkraft unelegant gegen die spitze Windsee an. Spaß war etwas anderes, ökologisch war es auch nicht, aber die Durchfahrt durch den malerischen Egersund belohnte uns für die Strapazen. Zwischen felsigen Schären hindurch navigierten wir aufmerksam in die ruhigen Fahrwasser des Sundes, wo es sich fast schon wie ein Binnenrevier anfühlte: Schmal und windungsreich, von bunten Holzhäusern, Wiesen und Kühen gesäumt, der Duft von Heidekraut und Nadelbäumen fand seinen Weg bis aufs Wasser. Im Ort Egersund selbst floss ein Wildwasserbach in den Sund und das Naherholungsgebiet hinter dem Ort lud zum Joggen und Wandern ein. Bewaldete Hügel wechselten sich mit zwischengelagerten Badeseen ab, ein gut ausgebautes Wegenetz zog sich durch die Landschaft und sogar für einen Outdoor-Fitnesspark mit Sportgeräten war gesorgt. Einen Tag blieben wir vor Ort, denn der Wind sollte auch da nicht gut passen.

Für den Folgetag jedoch war ein guter achterlicher Wind angesagt, der uns entlang des Küstenbogens in Richtung Kristiansand und Umgebung schieben sollte, und so stachen wir in See. Einen großen Bogen machten wir um mehrere gefährliche Seegebiete, wo bei diesen Winden mit gegenläufigem Strom wohl gefährliche Brecher und Kreuzseen an der Tagesordnung sind. Der norwegische Revierführer erwähnte aber auch, dass man solche Bedingungen im Zweifelsfall im gesamten Skagerrak antreffen könnte und so waren wir durchaus etwas angespannt. Bei 5-6 Beaufort sollten wir wohl nicht um Schiff und Leben zu fürchten haben, aber eine fiese Kotz-Fahrt von vielen Stunden Dauer wäre ja auch nicht unbedingt das Gelbe vom Ei. Aber nichts dergleichen erlebten wir glücklicherweise: Eine ganz übliche Windsee entstand, die höchsten Wellen überschritten sicherlich die zwei Meter, aber kamen gleichmäßig und brachen nicht, und so genossen wir das schnelle Segeln vor dem Wind. Und das bei traumhaftem Sonnenschein! Nach einigen Stunden war der Entschluss gefasst: Es lief so gut, dass wir ganz ungeplant bis nach Skagen in Dänemark weitersegeln wollten, also die Nacht hindurch und dann noch einen halben Tag. Denn so war das Schiff schnell, die See ließ sich sehr gut aushalten und an den nächsten Tagen sollte es nur wieder fraglicher und unbeständiger werden. Gesagt, getan, und so wurden aus siebzig ganze einhundertundsiebzig Seemeilen, die wir in Rekordzeit von 28 Stunden zurücklegten, also mit einem Durchschnitt von fast sechseinhalb Knoten. Der Nachthimmel war dunkel und sternenklar, in der Ferne waren überall um uns herum beleuchtete Schiffe unterwegs, die uns das gute Gefühl gaben, nicht allein auf hoher See zu sein. Die wir aber auch argwöhnisch im Blick behalten mussten, um gefährliche Annäherungen zu vermeiden. Zu allem Überfluss bescherten uns mitten in der Nacht Polarlichter ein unbeschreibliches Spektakel am Himmel! Das war sicherlich einer der Momente, an die wir noch unser ganzes Leben lang zurückdenken werden.
Am nächsten Mittag war es geschafft und wir liefen in den großen Fischereihafen von Skagen ein. Eine Wanderung zur Nord- und Ostsee trennenden Sandzunge rundete den Tag ab und wir genossen je eine der Spezialitäten der eher bescheidenen dänischen Küche: Fredi einen Hotdog, ich ein Softeis. Am nächsten Tag segelten wir einen nur eher kurzen Schlag nach Sæby und zum ersten Mal auf dem gesamten Törn gelang es Fredi, einen essbaren Fisch zu fangen! Es war eine Makrele und sogar ich aß einen Bissen mit. Denn gut schmeckte sie schon und war imnerhin ohne Industriefischerei, sondern durch die eigene Angelrute gefangen, und so fand ich das vertretbar.

 

In den letzten Wochen hatte uns der Segeltörn also noch einmal alles maximal mögliche geboten: tolle Landschaften, super Wetter, nette Leute, anspruchsvolle Passagen, großartige schnelle Segelei, Robben, Sandstrand, Sonne, und am Ende sogar Polarlichter und einen selbst gefangenen Fisch. So großartig diese Erlebnisse waren, so abrupt endete der Törn nur einen Tag später hart mit einem Ruderschaden beim Auflaufen auf eine steinige Untiefe. Gewiss hatte ich zu unaufmerksam navigiert, vielleicht mit der Erleichterung, jetzt alle anspruchsvollen Revier hinter uns gelassen zu haben und nur noch auf der Ostsee unterwegs zu sein. Blöderweise kam noch hinzu, dass die Untiefe noch deutlich weiter ins Meer hinauswuchs als auf dem Plotter zu sehen. In jedem Fall endete die gemütliche Segelfahrt hart und plötzlich. Immerhin, wir kamen wieder frei, das Schiff fuhr noch und ließ sich auch noch einwandfrei steuern, aber der Rest des Törns war gestorben. Moana wurde in Aalborg aus dem Wasser gekrant und es wurden schlimme Erinnerungen an den Törnanfang geweckt: Ohne Mast und beschädigt liegt die alte Dame nun an Land und wir lassen sie schweren Herzens für immer zurück.

Leb wohl, Moana! Wir hoffen, dass wir nette neue Besitzer für dich finden, die wieder mit dir aufbrechen: auf die hohe See, durch Sonne, Wind und Wellen, durch Tag und Nacht, in schöne Buchten und ruhige Häfen, neben Delfinen gen Horizont. Du kannst alles schaffen! Wir werden dich vermissen!