Mit dem Mietwagen fuhr ich Fredi morgens früh zum kleinen Flughafen nach Sumburgh, von wo aus sie über Bergen/Norwegen nach Hause fliegen würde. Nach der dicken Nebel- und Sprühregensuppe des Vortags war Himmel wieder etwas aufgeklart und die Insel präsentierte sich von ihrer schönsten Seite. Die Wiesen waren von der noch tief stehenden Sonne hellgrün angestrahlt, das Meer glitzerte hell und die Schafe grasten entspannt auf den Hügeln. Hinter ein paar Bauernhöfen lag am Ende der asphaltierten Straße der Flughafen. Etwas wehmütig verabschiedeten wir uns, auch wenn es nur für eine Woche war, und ich fuhr zurück zum Hafen, wo im Salon der Moana bereits die Crew, bestehend aus Lara, Felix und Niklas auf mich wartete. Gemeinsam wollten wir in den kommenden acht Tagen die Nordsee überqueren und es bis Bergen schaffen. Wir nutzten die letzten zwei Stunden der Wagenmiete, um an diesem Samstag Vormittag den großen Wocheneinkauf bei Tesco zu erledigen, verstauten die Lebensmittel an Bord und die Crew bezog ihre Kojen. Das Wetter hier oben war in großem Maße launisch und längerfristige Prognosen nicht sicher möglich, aber für die Zeit von Sonntag Mittag bis Montag Abend waren optimale Segelbedingungen vorhergesagt: Keine größere Rest-Dünung und beständiger Wind mit 4-5Bft aus Süd, was für uns eine zügige Überfahrt auf Halbwindkurs bedeuten würde. Besser würde es definitiv nicht werden und so beschlossen wir schnell, bereits am nächsten Tag die Überfahrt nach Norwegen in Angriff zu nehmen, obwohl wir gern noch mehr von den Shetlandinseln gesehen hätten. Deshalb: Schiffs- und Sicherheitseinweisung, noch 1-2 Stunden für einen Rundgang durch Lerwick, und dann Leinen los für einen nachmittäglichen Segelschlag zu den Out Skerries, dem für uns idealen Absprungpunkt. Viele Untiefen und Schären auf dem Weg erforderten eine sorgfältige Navigation und die unruhige Kreuzsee forderte ihr erstes Seekrankheits-Opfer. Der kleine Hafen von Out Skerries, eine etwa drei Yachten Platz bietende Kaimauer mit einem Fähranleger, befand sich in einer Art Lagune, die von mehreren Felseninseln umsäumt wurde. An zwei Stellen waren die Lücken zwischen den Felsen groß genug, um uns die Einfahrt zu ermöglichen. Für uns bot sich die auf der richtigen Seite liegende, aber auch schwierigere Süddurchfahrt an. Gruselig sah sie von See aus kommend aus! Die Wellen peitschten mit hoch in die Lüfte spritzender Gischt an das harte Gestein links und rechts der Einfahrt und genau dazwischen, nicht mehr als 1-2 Bootslängen breit, führte ein nur kurzer, aber mit Unterwasserfelsen gespickter und dadurch auf wenigen Metern Strecke mehrere Kurskorrekturen erfordernder Kanal. Die Wellen wurden links und rechts von den Felswänden reflektiert und überlagerten sich im Kanal zu einem chaotischen Wellenbad. Nicht zu unterschätzen, aber definitiv navigierbar, also bargen wir kurz davor die Segel und ich steuerte das Boot selbst (Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser…) durch die Einfahrt. Nicht mal eine Minute später fanden wir uns in der ruhigen Lagune wieder und machten das Boot neben einer holländischen Segelyacht an der Pier fest. Zu unserer Überraschung gab es ein beheiztes Fährwartehäuschen mit Tisch und Stühlen, Bücherregal und einer voll ausgestatteten Küche mit einem netten Einladungszettel für alle Segler, den Raum gern kostenlos zu nutzen, solange man hinter sich wieder aufräumt, und sich als Dankeschön ins Gästebuch einzutragen. Die Einladung nahmen wir gern an und genossen den Abend in der gemütlichen, warmen Hütte. Das Risotto köchelte auf dem Herd, der Wasserkocher lieferte uns in kurzer Zeit heißen Tee und die Scheiben beschlugen.

Am nächsten Morgen schliefen wir aus, denn der brauchbare Segelwind sollte erst gegen Mittag einsetzen. Etwas mehr Zeit ließ er sich und so tuckerten wir die ersten 1-2 Stunden nach dem Ablegen unter Motor auf die Nordsee hinaus. Leider war die See unruhiger als erwartet und mit der Perspektive, die nächsten etwa 30 Stunden der Welle voll ausgesetzt zu sein, versorgten sich mehrere Crewmitglieder, darunter ich selbst, mit Präparaten aus dem Hause Ratiopharm. Nachdem wir endlich die Segel setzen konnten und das Schiff stabiler in der Welle lag, wurde es glücklicherweise sehr viel angenehmer und wir brausten zügig ostwärts. Dichter Nebel lag über der Nordsee und blieb bis kurz vor die norwegische Küste unser Begleiter. Über 24 Stunden nur grau und nachts nur tiefschwarz zu sehen, war eine kleine Herausforderung. Die Technik mit Radar und AIS machte die Fahrt zwar auch ohne Sicht sicher, auch wenn wir auf der gesamten Strecke ohnehin keinem anderen Schiff begegneten, aber für die Psyche war es erstaunlich erleichternd, als sich vor Norwegen der Nebel lichtete und auf einmal wieder Meer und Wellen, Wolken, ein bisschen blauer Himmel und vereinzelt sogar Sonnenstrahlen zu sehen waren. Stolz setzten wir die norwegische Gastlandflagge und als ob der Moment nicht schon kitschig genug gewesen wäre, war in der Entfernung auch noch der Blas eines größeren Wals und sogar ein Stückchen Walrücken zu sehen. Obwohl wir uns alle auf festen Boden und eine Dusche freuten, wendeten wir das Schiff kurzerhand über Steuerbord in Richtung Walheimat, in der Hoffnung, das majestätische Tier aus größerer Nähe zu sehen. Ein paar Male sahen wir noch die meterhohen Auswürfe aus dem Luftloch, doch insgesamt hatte der Wal andere Pläne und tauchte davon. Durch die schmalen Fahrwasser zwischen den norwegischen Schären liefen wir in den Hafen der Insel Fedje ein, wo wir lustigerweise den Holländer von den Out Skerries wiedertrafen, der die Überfahrt parallel zu uns auf einem südlicheren Kurs unternommen hatte. Leider war seine Taktik aufgegangen und er war vor uns da, entsprechend triumphierend winkte er uns zur Begrüßung zu. Bestimmt hatte er einfach das schnellere Boot…

 

 

 

 

Der Kontrast Schottland-Norwegen war groß: Alles war auf einmal topmodern, sauber und gepflegt, man bezahlte den Hafen per App und so eine schöne Dusche wie dort hatten wir lange nicht mehr. Nach einem Kartenspiel und Abendessen fielen wir in die Kojen.

 

Jetzt hatten wir noch eine knappe Woche Zeit, aber nur noch etwa 30sm bis Bergen, entsprechend entspannt wurde es: Wir segelten kurze Strecken von Insel zu Insel, später ein bisschen im Zick-Zack durch die Fjorde, wanderten und kletterten, spielten Doppelkopf und fuhren SUP und Beiboot. Das Wetter meinte es ebenfalls gut mit uns und bei viel Sonnenschein und nur wenigen Regenschauern konnten wir kaum glauben, in einer der regenreichsten Regionen Europas zu sein.

 

 

 

 

 

Die Einfahrt in die Großstadt Bergen war etwas ganz besonderes: Durch die verzweigte Fjordlandschaft segelten wir immer weiter ins Gebirge, passierten 50m hohe Straßenbrücken und arbeiteten uns aufmerksam durch ein Gewusel aus Schnellfähren, Motorbooten, normalen Fähren, Ozeanriesen, Kreuzfahrtschiffen und ganz wenigen anderen Segelyachten hindurch bis zum Hafen an der Zachariasbryggen, direkt im Zentrum von Norwegens zweitgrößter Stadt. Direkt an der Pier befanden sich der Fischmarkt, mehrere Kneipen und Restaurants mit Live-Musik und einmal über die Straße die Talstation der Fløybanen, einer Standseilbahn auf einen der sieben Stadtberge. Niklas, Felix und Lara verabschiedeten sich und ich vermisste sie schon sofort, war echt eine tolle Crew und eine schöne Woche. Aber mal alleine an Bord zu sein, tat auch sehr gut. Touristen mit Softeis und Waffeln spazierten an der Pier entlang und ich genoss den Trubel und die Atmosphäre der Großstadt. Abends im Schlafanzug mit einer Tasse Tee im Cockpit zu sitzen, mitten im rappelvollen Stadtzentrum seine Privatsphäre zu haben und der Bluesband in der nur zehn Meter entfernten Kneipe zuzuhören, war schon etwas ganz besonderes. Am nächsten Tag wanderte ich über die Hochebene Vidden, die mehrere von Bergens Hausbergen miteinander verbindet, und genoss die Aussicht auf die Stadt, bevor ich Fredi am späten Abend mit der Straßenbahn vom Flughafen abholte.