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Das Ende

Norwegen! Jetzt war es eigentlich nur noch ein Katzensprung zurück nach Deutschland. Hätten wir vor unserer Segelreise nie gedacht, dass uns ein derartiger Schlag jemals kurz und harmlos vorkommen würde. Zwar ist das Skagerrak berüchtigt für seine Strömungen und durch entsprechende Windrichtungen und -stärken entstehenden gefährlichen Seegang, aber dafür war die eigentliche Überfahrt Norwegen-Dänemark auf dem kürzesten Weg, etwa von Kristiansand nach Hirtshals, an nur einem Tag zu schaffen. Morgens in Norwegen starten, abends in Dänemark, so weit der Plan. Doch vor der Überfahrt erlebten wir noch eine der schönsten Zeiten des gesamten Segeltörns.

Die norwegische Westküste ist rau, aber landschaftlich wunderschön und in weiten Teilen durch einen vorgelagerten Schärengarten geschützt. Tausende Inseln laden zum Anlanden und Verweilen ein, während nach einem Abstecher ins Hinterland majestätische Fjorde darauf warten, erkundet zu werden. Uns so arbeiteten wir uns in einem Zick-Zack-Kurs durch die teils engen, aber immer gut kartografierten Fahrwasser in Richtung Süden vor. Norwegen tut alles dafür, dass seine Bürger sich wohlfühlen, und so gab es auch auf entlegenen Inseln niedliche Holzstege mit Picknickbänken und Grillplätzen, stets mit netten Hinweisschildern, dass man das alles gratis nutzen und sich an der Natur erfreuen darf. Von Bergen bis Stord (einer größeren Insel zwischen Bergen und Haugesund) leistete uns unser befreundetes halbnorwegisches Pärchen Alex und Amelie Gesellschaft. Das Wetter war mit Flaute und Regen teilweise mies, aber die Stimmung gut und wir spielten Karten (selbst Fredi!), quatschten und genossen die vorbeiziehende Schärenlandschaft. Pünktlich zum Von-Bord-Gehen der beiden kam wieder ein leichter Segelwind auf und wir segelten gemütlich am Wind in Richtung Haugesund und später von dort weiter bis Stavanger, jeweils mit schönen Ankerstopps in Buchten oder vor Inseln. Eine der schönsten Küstenlandschaften, die wir je befahren hatten!

In Stavanger konnten wir direkt im Stadtzentrum festmachen und ließen Moana ein paar Tage allein, denn wir waren zur Hochzeit von Björn und Katrin eingeladen und Björn war immerhin einer meiner besten Freunde. Auf dem Weg zur Trauung reanimierten wir erfolglos einen sich im Alkoholrausch zu Tode gerast habenden Motorradfahrer. Da ich nicht der größte Fan von Hochzeiten bin, empfand ich das als interessantes Alternativprogramm und wann kann man schließlich schon mal im Anzug Leute intubieren… Nachdem das Blut aus der Kleidung gewaschen war, war die Hochzeit dann aber doch richtig toll und wir hatten einen Riesen-Spaß und Björn und Katrin auch, was ja die Hauptsache war. Am nächsten Morgen war Fredi schwer erweckbar, aber ließ sich letztendlich trotzdem zur Rückreise nach Stavanger motivieren und so begrüßten wir Moana, die brav im Hafen geblieben war. Christoph und Franzi stießen zu uns und wollten uns eine Woche lang bis Kristiansand begleiten. Der Wind passte nur mäßig gut und so schlug Fredi spontan und überraschend vor, ins Landesinnere in den Lysefjord zu segeln, das wäre landschaftlich gewiss ein Highlight und von Stavanger trennten die beiden am Ende der Woche ja auch nur eine 3-stündige Bus- oder Zugfahrt. Die Zustimmung war groß und bei perfektem Sommerwetter nutzten wir den wenigen Wind für eine Schleichfahrt durch die komplett ruhige See.

Der Lysefjord ist einer der beeindruckendsten Norwegens: Schmal und langgezogen wird er im hinteren Teil von steilsten Felswänden umgeben und bietet gleich zwei touristische Highlights: den Kjeragbolten, einen runden, in einer Felsspalte eingeklemmten begehbaren Felsblock, 1000m vertikal über dem Fjord und mit entsprechend schwindelerregender Perspektive, wenn man oben ist, und den Preikestolen, ein ebenens Felsplateau auf über 600m Höhe, von dem die Wände ebenfalls senkrecht bis in den Fjord abfallen. Von Land aus kannten wir beides schon, waren wir vor einigen Jahren doch drei Tage lang mit Rucksack und Zelt entlang des Lysefjord gewandert. Teils unten am Ufer, teils auf dem über 1000m hohen Hochplateau, das wir über die “Flørlitrappen” erreicht hatten, die Begleittreppe einer ehemaligen Bergbau-Standseilbahn. 780 Höhenmeter legt man dort ausschließlich auf einer steilen, aus 4444 Treppenstufen bestehenden Treppe zurück. Entsprechend brannten die Oberschenkel nach dem Aufstieg mit vollem Zeltgepäck. Diesmal war es leichter und die einzige kleine Anstregung bestand im Überholen der Genua, während wir Wende für Wende den Fjord entlangkreuzten. Von unten erschienen die Menschenmengen auf dem Preikestolen wie eine Ameisenkolonie und bis auf die uns gelegentlich passierenden Ausflugsschiffe herrschte eine wunderbare Stille auf dem Fjord. Das Wasser ist bis zu den Ufern extrem tief und so konnten wir so nah an die die Felsklippen hinunterstürzenden Wasserfälle heranfahren, sodass wir fast vom Bug hätten an Land steigen können.

 

 

 

 

 

 

 

 

Auch an den nächsten Tagen verzichteten wir weitgehend auf den Motor und genossen die Segelei im Schneckentempo durch die Fjorde, ankerten vor Inseln, wanderten und kletterten sogar an einem ufernahen Sportklettergebiet. Es war sogar ein sehr ufernahes Sportklettergebiet, beim Sichern bekam man fast nasse Füße. 🙂

Christoph ging schon in Jørpeland von Bord und stieg in den Bus nach Hause, Franzi begleitete uns noch bis in den Hafen von Tananger, Fredi und ich setzten die Reise allein fort. Es war Flaute angesagt und wir mussten bis Egersund motoren, leider blieb es nicht einmal bei der Flaute, sondern wir bekamen auch noch Wind von vorn und zwar nicht zu wenig. Mit Strom von vorn war Aufkreuzen keine Option, umkehren wollten wir nach bereits 25-30 zurückgelegten Seemeilen auch nicht mehr und so bolzten wir mit Motorkraft unelegant gegen die spitze Windsee an. Spaß war etwas anderes, ökologisch war es auch nicht, aber die Durchfahrt durch den malerischen Egersund belohnte uns für die Strapazen. Zwischen felsigen Schären hindurch navigierten wir aufmerksam in die ruhigen Fahrwasser des Sundes, wo es sich fast schon wie ein Binnenrevier anfühlte: Schmal und windungsreich, von bunten Holzhäusern, Wiesen und Kühen gesäumt, der Duft von Heidekraut und Nadelbäumen fand seinen Weg bis aufs Wasser. Im Ort Egersund selbst floss ein Wildwasserbach in den Sund und das Naherholungsgebiet hinter dem Ort lud zum Joggen und Wandern ein. Bewaldete Hügel wechselten sich mit zwischengelagerten Badeseen ab, ein gut ausgebautes Wegenetz zog sich durch die Landschaft und sogar für einen Outdoor-Fitnesspark mit Sportgeräten war gesorgt. Einen Tag blieben wir vor Ort, denn der Wind sollte auch da nicht gut passen.

Für den Folgetag jedoch war ein guter achterlicher Wind angesagt, der uns entlang des Küstenbogens in Richtung Kristiansand und Umgebung schieben sollte, und so stachen wir in See. Einen großen Bogen machten wir um mehrere gefährliche Seegebiete, wo bei diesen Winden mit gegenläufigem Strom wohl gefährliche Brecher und Kreuzseen an der Tagesordnung sind. Der norwegische Revierführer erwähnte aber auch, dass man solche Bedingungen im Zweifelsfall im gesamten Skagerrak antreffen könnte und so waren wir durchaus etwas angespannt. Bei 5-6 Beaufort sollten wir wohl nicht um Schiff und Leben zu fürchten haben, aber eine fiese Kotz-Fahrt von vielen Stunden Dauer wäre ja auch nicht unbedingt das Gelbe vom Ei. Aber nichts dergleichen erlebten wir glücklicherweise: Eine ganz übliche Windsee entstand, die höchsten Wellen überschritten sicherlich die zwei Meter, aber kamen gleichmäßig und brachen nicht, und so genossen wir das schnelle Segeln vor dem Wind. Und das bei traumhaftem Sonnenschein! Nach einigen Stunden war der Entschluss gefasst: Es lief so gut, dass wir ganz ungeplant bis nach Skagen in Dänemark weitersegeln wollten, also die Nacht hindurch und dann noch einen halben Tag. Denn so war das Schiff schnell, die See ließ sich sehr gut aushalten und an den nächsten Tagen sollte es nur wieder fraglicher und unbeständiger werden. Gesagt, getan, und so wurden aus siebzig ganze einhundertundsiebzig Seemeilen, die wir in Rekordzeit von 28 Stunden zurücklegten, also mit einem Durchschnitt von fast sechseinhalb Knoten. Der Nachthimmel war dunkel und sternenklar, in der Ferne waren überall um uns herum beleuchtete Schiffe unterwegs, die uns das gute Gefühl gaben, nicht allein auf hoher See zu sein. Die wir aber auch argwöhnisch im Blick behalten mussten, um gefährliche Annäherungen zu vermeiden. Zu allem Überfluss bescherten uns mitten in der Nacht Polarlichter ein unbeschreibliches Spektakel am Himmel! Das war sicherlich einer der Momente, an die wir noch unser ganzes Leben lang zurückdenken werden.
Am nächsten Mittag war es geschafft und wir liefen in den großen Fischereihafen von Skagen ein. Eine Wanderung zur Nord- und Ostsee trennenden Sandzunge rundete den Tag ab und wir genossen je eine der Spezialitäten der eher bescheidenen dänischen Küche: Fredi einen Hotdog, ich ein Softeis. Am nächsten Tag segelten wir einen nur eher kurzen Schlag nach Sæby und zum ersten Mal auf dem gesamten Törn gelang es Fredi, einen essbaren Fisch zu fangen! Es war eine Makrele und sogar ich aß einen Bissen mit. Denn gut schmeckte sie schon und war imnerhin ohne Industriefischerei, sondern durch die eigene Angelrute gefangen, und so fand ich das vertretbar.

 

In den letzten Wochen hatte uns der Segeltörn also noch einmal alles maximal mögliche geboten: tolle Landschaften, super Wetter, nette Leute, anspruchsvolle Passagen, großartige schnelle Segelei, Robben, Sandstrand, Sonne, und am Ende sogar Polarlichter und einen selbst gefangenen Fisch. So großartig diese Erlebnisse waren, so abrupt endete der Törn nur einen Tag später hart mit einem Ruderschaden beim Auflaufen auf eine steinige Untiefe. Gewiss hatte ich zu unaufmerksam navigiert, vielleicht mit der Erleichterung, jetzt alle anspruchsvollen Revier hinter uns gelassen zu haben und nur noch auf der Ostsee unterwegs zu sein. Blöderweise kam noch hinzu, dass die Untiefe noch deutlich weiter ins Meer hinauswuchs als auf dem Plotter zu sehen. In jedem Fall endete die gemütliche Segelfahrt hart und plötzlich. Immerhin, wir kamen wieder frei, das Schiff fuhr noch und ließ sich auch noch einwandfrei steuern, aber der Rest des Törns war gestorben. Moana wurde in Aalborg aus dem Wasser gekrant und es wurden schlimme Erinnerungen an den Törnanfang geweckt: Ohne Mast und beschädigt liegt die alte Dame nun an Land und wir lassen sie schweren Herzens für immer zurück.

Leb wohl, Moana! Wir hoffen, dass wir nette neue Besitzer für dich finden, die wieder mit dir aufbrechen: auf die hohe See, durch Sonne, Wind und Wellen, durch Tag und Nacht, in schöne Buchten und ruhige Häfen, neben Delfinen gen Horizont. Du kannst alles schaffen! Wir werden dich vermissen!

Über die Nordsee

Mit dem Mietwagen fuhr ich Fredi morgens früh zum kleinen Flughafen nach Sumburgh, von wo aus sie über Bergen/Norwegen nach Hause fliegen würde. Nach der dicken Nebel- und Sprühregensuppe des Vortags war Himmel wieder etwas aufgeklart und die Insel präsentierte sich von ihrer schönsten Seite. Die Wiesen waren von der noch tief stehenden Sonne hellgrün angestrahlt, das Meer glitzerte hell und die Schafe grasten entspannt auf den Hügeln. Hinter ein paar Bauernhöfen lag am Ende der asphaltierten Straße der Flughafen. Etwas wehmütig verabschiedeten wir uns, auch wenn es nur für eine Woche war, und ich fuhr zurück zum Hafen, wo im Salon der Moana bereits die Crew, bestehend aus Lara, Felix und Niklas auf mich wartete. Gemeinsam wollten wir in den kommenden acht Tagen die Nordsee überqueren und es bis Bergen schaffen. Wir nutzten die letzten zwei Stunden der Wagenmiete, um an diesem Samstag Vormittag den großen Wocheneinkauf bei Tesco zu erledigen, verstauten die Lebensmittel an Bord und die Crew bezog ihre Kojen. Das Wetter hier oben war in großem Maße launisch und längerfristige Prognosen nicht sicher möglich, aber für die Zeit von Sonntag Mittag bis Montag Abend waren optimale Segelbedingungen vorhergesagt: Keine größere Rest-Dünung und beständiger Wind mit 4-5Bft aus Süd, was für uns eine zügige Überfahrt auf Halbwindkurs bedeuten würde. Besser würde es definitiv nicht werden und so beschlossen wir schnell, bereits am nächsten Tag die Überfahrt nach Norwegen in Angriff zu nehmen, obwohl wir gern noch mehr von den Shetlandinseln gesehen hätten. Deshalb: Schiffs- und Sicherheitseinweisung, noch 1-2 Stunden für einen Rundgang durch Lerwick, und dann Leinen los für einen nachmittäglichen Segelschlag zu den Out Skerries, dem für uns idealen Absprungpunkt. Viele Untiefen und Schären auf dem Weg erforderten eine sorgfältige Navigation und die unruhige Kreuzsee forderte ihr erstes Seekrankheits-Opfer. Der kleine Hafen von Out Skerries, eine etwa drei Yachten Platz bietende Kaimauer mit einem Fähranleger, befand sich in einer Art Lagune, die von mehreren Felseninseln umsäumt wurde. An zwei Stellen waren die Lücken zwischen den Felsen groß genug, um uns die Einfahrt zu ermöglichen. Für uns bot sich die auf der richtigen Seite liegende, aber auch schwierigere Süddurchfahrt an. Gruselig sah sie von See aus kommend aus! Die Wellen peitschten mit hoch in die Lüfte spritzender Gischt an das harte Gestein links und rechts der Einfahrt und genau dazwischen, nicht mehr als 1-2 Bootslängen breit, führte ein nur kurzer, aber mit Unterwasserfelsen gespickter und dadurch auf wenigen Metern Strecke mehrere Kurskorrekturen erfordernder Kanal. Die Wellen wurden links und rechts von den Felswänden reflektiert und überlagerten sich im Kanal zu einem chaotischen Wellenbad. Nicht zu unterschätzen, aber definitiv navigierbar, also bargen wir kurz davor die Segel und ich steuerte das Boot selbst (Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser…) durch die Einfahrt. Nicht mal eine Minute später fanden wir uns in der ruhigen Lagune wieder und machten das Boot neben einer holländischen Segelyacht an der Pier fest. Zu unserer Überraschung gab es ein beheiztes Fährwartehäuschen mit Tisch und Stühlen, Bücherregal und einer voll ausgestatteten Küche mit einem netten Einladungszettel für alle Segler, den Raum gern kostenlos zu nutzen, solange man hinter sich wieder aufräumt, und sich als Dankeschön ins Gästebuch einzutragen. Die Einladung nahmen wir gern an und genossen den Abend in der gemütlichen, warmen Hütte. Das Risotto köchelte auf dem Herd, der Wasserkocher lieferte uns in kurzer Zeit heißen Tee und die Scheiben beschlugen.

Am nächsten Morgen schliefen wir aus, denn der brauchbare Segelwind sollte erst gegen Mittag einsetzen. Etwas mehr Zeit ließ er sich und so tuckerten wir die ersten 1-2 Stunden nach dem Ablegen unter Motor auf die Nordsee hinaus. Leider war die See unruhiger als erwartet und mit der Perspektive, die nächsten etwa 30 Stunden der Welle voll ausgesetzt zu sein, versorgten sich mehrere Crewmitglieder, darunter ich selbst, mit Präparaten aus dem Hause Ratiopharm. Nachdem wir endlich die Segel setzen konnten und das Schiff stabiler in der Welle lag, wurde es glücklicherweise sehr viel angenehmer und wir brausten zügig ostwärts. Dichter Nebel lag über der Nordsee und blieb bis kurz vor die norwegische Küste unser Begleiter. Über 24 Stunden nur grau und nachts nur tiefschwarz zu sehen, war eine kleine Herausforderung. Die Technik mit Radar und AIS machte die Fahrt zwar auch ohne Sicht sicher, auch wenn wir auf der gesamten Strecke ohnehin keinem anderen Schiff begegneten, aber für die Psyche war es erstaunlich erleichternd, als sich vor Norwegen der Nebel lichtete und auf einmal wieder Meer und Wellen, Wolken, ein bisschen blauer Himmel und vereinzelt sogar Sonnenstrahlen zu sehen waren. Stolz setzten wir die norwegische Gastlandflagge und als ob der Moment nicht schon kitschig genug gewesen wäre, war in der Entfernung auch noch der Blas eines größeren Wals und sogar ein Stückchen Walrücken zu sehen. Obwohl wir uns alle auf festen Boden und eine Dusche freuten, wendeten wir das Schiff kurzerhand über Steuerbord in Richtung Walheimat, in der Hoffnung, das majestätische Tier aus größerer Nähe zu sehen. Ein paar Male sahen wir noch die meterhohen Auswürfe aus dem Luftloch, doch insgesamt hatte der Wal andere Pläne und tauchte davon. Durch die schmalen Fahrwasser zwischen den norwegischen Schären liefen wir in den Hafen der Insel Fedje ein, wo wir lustigerweise den Holländer von den Out Skerries wiedertrafen, der die Überfahrt parallel zu uns auf einem südlicheren Kurs unternommen hatte. Leider war seine Taktik aufgegangen und er war vor uns da, entsprechend triumphierend winkte er uns zur Begrüßung zu. Bestimmt hatte er einfach das schnellere Boot…

 

 

 

 

Der Kontrast Schottland-Norwegen war groß: Alles war auf einmal topmodern, sauber und gepflegt, man bezahlte den Hafen per App und so eine schöne Dusche wie dort hatten wir lange nicht mehr. Nach einem Kartenspiel und Abendessen fielen wir in die Kojen.

 

Jetzt hatten wir noch eine knappe Woche Zeit, aber nur noch etwa 30sm bis Bergen, entsprechend entspannt wurde es: Wir segelten kurze Strecken von Insel zu Insel, später ein bisschen im Zick-Zack durch die Fjorde, wanderten und kletterten, spielten Doppelkopf und fuhren SUP und Beiboot. Das Wetter meinte es ebenfalls gut mit uns und bei viel Sonnenschein und nur wenigen Regenschauern konnten wir kaum glauben, in einer der regenreichsten Regionen Europas zu sein.

 

 

 

 

 

Die Einfahrt in die Großstadt Bergen war etwas ganz besonderes: Durch die verzweigte Fjordlandschaft segelten wir immer weiter ins Gebirge, passierten 50m hohe Straßenbrücken und arbeiteten uns aufmerksam durch ein Gewusel aus Schnellfähren, Motorbooten, normalen Fähren, Ozeanriesen, Kreuzfahrtschiffen und ganz wenigen anderen Segelyachten hindurch bis zum Hafen an der Zachariasbryggen, direkt im Zentrum von Norwegens zweitgrößter Stadt. Direkt an der Pier befanden sich der Fischmarkt, mehrere Kneipen und Restaurants mit Live-Musik und einmal über die Straße die Talstation der Fløybanen, einer Standseilbahn auf einen der sieben Stadtberge. Niklas, Felix und Lara verabschiedeten sich und ich vermisste sie schon sofort, war echt eine tolle Crew und eine schöne Woche. Aber mal alleine an Bord zu sein, tat auch sehr gut. Touristen mit Softeis und Waffeln spazierten an der Pier entlang und ich genoss den Trubel und die Atmosphäre der Großstadt. Abends im Schlafanzug mit einer Tasse Tee im Cockpit zu sitzen, mitten im rappelvollen Stadtzentrum seine Privatsphäre zu haben und der Bluesband in der nur zehn Meter entfernten Kneipe zuzuhören, war schon etwas ganz besonderes. Am nächsten Tag wanderte ich über die Hochebene Vidden, die mehrere von Bergens Hausbergen miteinander verbindet, und genoss die Aussicht auf die Stadt, bevor ich Fredi am späten Abend mit der Straßenbahn vom Flughafen abholte.

Die letzten Außenposten im Nordatlantik

Nach empfundenen Ewigkeiten auf ruhigen Binnengewässern wagten wir uns in die letzte Schleuse und fuhren auf die Nordsee hinaus. Die Kardinaltonne vor der Hafeneinfahrt stand deutlich schräg und zog ein wildes Kehrwasser hinter sich her und kurze Zeit später fuhren auch wir mit kurzem Gieren und Krängen in den starken Gezeitenstrom des Moray Firth ein. Natürlich waren wir nicht aus Spaß um 5:30 Uhr morgens ausgelaufen, sondern wollten, wenn es nun schon wieder Gezeiten gab, den Strom auch von achtern haben. Moana beschleunigte auf über 10kn über Grund und wir sausten unter der großen Hängebrücke hindurch an den Ausläufern von Inverness vorbei. Gegen 7 Uhr, als die Förde breiter wurde, schaffte es auch der Wind über die Berge zu uns und wir setzten die Segel. Entlang der schottischen Nordseeküste ging es nach Nordosten in Richtugn Wick. Ein riesiges Kreuzfahrtschiff passierten wir knapp hinter seinem Heck, ein größeres Fischereischiff passierte uns knapp hinter unserem, wir wichen mehreren Fischernetzen aus, ansonsten verlief der Segeltag ereignislos und wir freuten uns über die entspannte, aber schnelle Segelei durch die ruhigen Wasser des Festlandlees. Abends liefen wir im Hafen von Wick ein und machten gegenüber von einem netten deutschen Pärchen fest, die in den nächsten Tagen von dort non-stop über die Nordsee nach Cuxhaven segeln wollten. Auf einmal schien unser Ziel Deutschland in greifbarer Nähe zu sein.

Der Hafenmeister von Wick hatte zwei richtig süße Hunde und während einer links und einer rechts von meinem Stuhl stand und ich beide kraulen musste, blieb mir kaum eine freie Hand zum Ausfüllen des Gastliegerformulars. Wir besprachen unseren Zeitplan für die Überfahrt zu den Orkneyinseln mit dem Hafenmeister, denn die Etappe führte über die Ausläufer des Pentland Firth, einem der kräftigsten Gezeitenströme der Welt, der in der Springzeit (die war unpassenderweise genau an unserem Überfahrtstag) bis zu 16kn schnell strömt und in Kombination mit gegenläufiger Welle schon Segelboote und selbst größere Frachtschiffe zur Kenterung gebracht oder widerwillig auf eine der mitten im Strom liegenden Inseln geschoben hat. Der Hafenmeister empfahl ein Auslaufen gegen 11 Uhr und eine großzügige Umfahrung des Sandy Riddles, was sich mit unseren Berechnungen und Informationen deckte, und so machten wir uns am nächten Vormittag nach einem kleinen Küstenspaziergang auf den Weg.

Wind gab es leider gar nicht und auch der Strom verhielt sich leider nicht ganz so wie geplant, so betrug er zwar nur 1-2kn, aber über viele Stunden immer von vorne. Erst gegen Abend, bereits östlich querab der Durchfahrt zwischen den Orkneys, begann er, uns zu schieben, und so tuckerten wir immerhin die letzten zwei Stunden schnell und durch wunderschöne Abendlandschaften nach Kirkwall hinein. Zwei vorbeifahrende Jetskifahrer winkten uns fröhlich zu und trugen trotz 12°C und viel selbst erzeugtem Spritzwasser nur kurze Hosen. Die spinnen, die Schotten! In der Bucht von Kirkwall war es absolut ruhig und windstill und so sparten wir uns die Hafengebühren und ankerten vor der Stadt. Am nächsten Tag mieteten wir uns Fahrräder und radelten bei perfektem blauen Himmel durch die klare kühle Luft und entdeckten mehrere Highlights der großen Hauptinsel: die Steilküste von Yesnaby, das prähistorische Dorf Skara Brae, den Ring of Brodgar und die stehenden Steine von Stenness. Die Landschaft dazwischen war von Wiesenhügeln, Schafen und Kühen geprägt und gewiss lebten hier deutlich mehr Nutztiere als menschliche Einwoher.

 

Früher einmal gehörten die Orkneyinseln zu Norwegen und so sieht nicht nur die Flagge verblüffend ähnlich aus, sondern klingen auch viele Ortsnamen recht skandinavisch. Abends holten wir den Anker auf und legten noch 17sm nach Stronsay zurück, um uns den langen Schlag des nächsten Tages etwas zu verkürzen. Zeit für einen Landgang blieb leider nicht, denn die Nacht brach bereits herein und am nächsten Tag mussten wir früh starten. Ein Sturmtief hatte sich über dem Nordatlantik formiert und würde uns am übernächsten Tag erreichen und für mehrere Tage bleiben. In fünf Tagen würde eine Mitsegelcrew auf den Shetlandinseln eintreffen, und würden wir nicht rechtzeitig vor dem Sturm dort ankommen, säßen wir erstmal für eine Woche auf den Orkneyinseln fest. Zu spät für die Crew, zu spät für Fredis gebuchte Rückreise nach Deutschland. So starteten wir morgens früh und erreichten am späten Vormittag die wunderschöne Insel Fair Isle, wo der Anker in der Südbucht fiel und wir eine kurze Wanderung über die Insel unternahmen. Fruchtbare Wiesen begrünten Hochplateaus, an deren Rand steile Klippen in die See hinab stürzten, dazwischen herrschte reger Flugverkehr: Möwen, Tölpel, selbst die seltenen Papageientaucher lebten hier in großer Stückzahl. Kein Wunder, dass die Insel kaum Einwohner hat, aber viele Vogelfreunde aus der ganzen Welt anzieht. Und das trotz der abenteuerlichen Anreise: Auf dem großbritannischen Festland muss man erst einmal mit der Bahn oder einem Inlandsflug nach Aberdeen im Nordosten Schottlands. Dort wartet eine ca. 12-stündige Fährfahrt über Nacht durch ein oft zorniges Seegebiet nach Lerwick oder alternativ ein Propellerflug nach Sumburgh auf den Shetlandinseln auf den Vogelfreund. Und von Sumburgh fliegt dann, sofern es keinen Nebel gibt, eine noch kleinere Propellermaschine nach Fair Isle. Oder wiederum eine kleine Fähre, aber nur, wenn es keinen Sturm gibt.


Noch genossen wir die Insel bei perfektem Sonnenschein und an Land deutete noch nichts darauf hin, dass hier am nächsten Tag ein Sturm mit bis zu sechs Meter hohen Wellen toben würde. Am Nachmittag lichteten wir den Anker und erlebten bei der Ausfahrt aus der Bucht die ersten Vorboten des Sturms. Zwar war selbiger noch weit entfernt, aber da sich Wellen im Wasser deutlich schneller und weiter ausbreiten als der sie erzeugende Wind, stießen wir im Gegensatz zur morgendlichen Fahrt durch ruhiges Wasser plötzlich auf unangenehmen Seegang. Mit geschätzten zwei Metern nicht sehr hoch, aber furchtbar steil und unangenehm traf die See aus Moanas Bug und schüttelte uns ordentlich durch. Auch hatte der Wind so weit in Richtung Nord gedreht, dass wir keinen direkten Kurs in Richtung Shetlandinseln laufen konnten. Zum ersten Mal auf dem gesamten Törn war Fredi nicht übel, aber mir schon, hatte sie doch in weiser Voraussicht gleich zwei Tabletten Vomex gefuttert. Und so lag ich unten in der Kajüte, während Fredi tapfer die Stellung hielt und Moana, teils mit Motorunterstützung, teils ohne, durch die grässliche See prügelte. Gegen Mitternacht ließ die See in der Abdeckung der Shetlandinseln etwas nach und gegen halb drei nachts erreichten wir den Hafen von Lerwick. Hier oben war Lerwick weit und breit der einzige Hafen, der sicheren Rundumschutz bot, und so hatte er ob des drohenden Sturms schon unzählige andere Segelboote angezogen. Freie Plätze direkt an der Pier gab es gar keine mehr, überall lagen schon mindestens zwei Boote im Päckchen. So machten wir als drittes Boot an einem Österreicher fest, der ein paar Minuten später schlaftrunken aus seinem Niedergang herausschaute. Wir entschuldigten uns für die nächtliche Störung, aber er war sehr nett. “Servus! Basst ois bei eich?” Die nächsten drei Tage würden wir Nachbarn bleiben, denn bei dem draußen wütenden Sturm verließ niemand freiwillig den Hafen. Selbst ein kleineres Kreuzfahrtschiff blieb sicherheitshalber im Hafen. Es hätte den Bedingungen gewiss standgehalten, aber ob das auch für seine Passagiere zutraf, durfte man als mehr als ungewiss annehmen. Wir machten das beste aus der Situation, mieteten ein Auto und guckten uns die Shetlandinseln von land aus an. Sie hatten wenig spektakuläres, hatten aber durchaus eine wilde und abgelegene Schönheit inne, eine einsame Oase im wilden Nordatlantik.

42 Höhenmeter mit dem Boot

Spät am Abend kam Fredi mit der schönsten Eisenbahnstrecke Schottlands aus Glasgow zurück und hatte ihre Mutter Claudia mitgebracht, die sie dort vom Flughafen abgeholt hatte. Zu dritt würden wir in der kommenden Woche den Kaledonischen Kanal durchfahren, der Schottland von Südwest nach Nordost ein mal komplett durchquert. Mit 29 Schleusen legt man dabei insgesamt 42 Höhenmeter zurück und überquert mehrere Löcher, das größte und berühmteste von ihnen ist kein geringeres als Loch Ness. Neptune’s Staircase, eine Schleusentreppe mit 8 Schleusen am Stück, hielt uns gleich zu Beginn für etwa vier Stunden auf Trab, beobachtet von zahlreichen Zuschauern wurde Moana Kammer für Kammer weiter angehoben. Oben angekommen durchfuhren wir einen lieblichen schmalen Kanal, der wie eine Allee mit Bäuken gesäumt war, und setzten auf Loch Lochy die Segel. Hohe Berge standen links und rechts des Ufers und wir hatten das Gefühl, auf einem Gebirgssee zu sein. Trotz kräftigen Winds gab es keinerlei Welle, was nach den letzten Wochen eine unglaubliche Erholung war.

 

 

 

An einem kleinen Schwimmsteg machten wir für die Nacht fest, sammelten Himbeeren und wanderten am nächsten Tag auf die umliegenden Berge, wobei ich das ausnahmsweise beste Wetter nutzte, um mit dem Gleitschirm wieder hinabzufliegen. Nach einem weiteren Kanalabschnitt erreichten wir Loch Oich, unser Lieblingsloch, das mit vielen Windungen verwunschen durch einen blühenden Wald führte. Der Anker fiel vor einer Burgruine, wo wir in absoluter Ruhe die Abendsonne genossen. In Fort Augustus wartete die nächste Schleusentreppe auf uns und wir merkten schnell, dass wir am Anfang von Loch Ness angekommen waren: Statt den bisher weitgehend einsamen Highlands erwarteten uns hier Touristenbusse voller Deutscher und Japaner, die die kleinen Straßen thrombosierten und im großen Stil in die Souvenirläden einmarschierten, wo es Nessie in allen Darreichungsformen gab: Nessie-Bücher, Nessie-Plüschtiere, Nessie-Schokolade, Nessie-Whiskey, einfach alles. Da uns auf Loch Ness sieben Windstärken von vorn erwarteten, blieben wir trotzdem einen weiteren Tag dort und liefen eine Etappe des Great Glen Trail auf dem Höhenrücken oberhalb von Loch Ness von Invermoriston nach Fort Augustus. Sehr schön war es!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nach Wetterberuhigung überquerten wir Loch Ness, aber keine Spur von einem Monster. War zwar zu erwarten, aber ein bisschen traurig waren wir dennoch. In Inverness endet der Kaledonische Kanal und mündet in die Nordsee, genauer gesagt, in den Moray Firth. Wir blieben allerdings noch eine knappe Woche vor Ort, erledigten einige Arbeiten am Boot, machten einen Ausflug nach Glasgow und ließen unser Großsegel von einem Segelmacher überholen.

Mit neuen Karten nach Schottland

Eine knappe Woche verbrachten wir in und um Dublin, besichtigten die Stadt, gingen zum Frisör und erledigten ein paar Dinge am Boot, während es größtenteils sehr windig war und in Strömen regnete. Elektronische Seekarten zu bekommen war jedoch selbst hier schwierig, obwohl es riesige Marinas mit tausenden Booten gab. Nachdem ich meine Tageskarte für die DART-Bahn gut ausgenutzt und in mehreren Seefahrtbedarfsläden im Großraum Dublin erfolglos geblieben war, erhielt ich in einer anderen Marina doch immerhin eine Handynummer von Tony. Dieser solle wohl an den Stoff kommen, sei aber chronisch schwer zu erreichen. Nach mehreren erfolglosen Anrufen bekam ich irgendwann immerhin eine Nachricht von ihm, “write me a message”. Immerhin, so stellte sich nach kurzem Kontakt heraus, konnte er tatsächlich Seekarten herunterladen und auf SD-Karten speichern, und das mit irgendeiner Art Dauerabonnement zu einem sehr günstigen Preis. Uns würde er dafür die Hälfte des Marktpreises abverlangen und so ergab sich eine klassische Win-Win-Situation und ich bestellte gleich noch das Kartenpaket für Skandinavien und Ostsee mit dazu. Um 15 Uhr sollte ich mich im Royal Irish Yacht Club einfinden, dort säße er an der Bar. Der Türsteher ließ mich nach kurzer Erklärung passieren und so betrat ich die pompöse Villa des Clubs. Weiß eingedeckte Tische mit geometrisch perfekt ausgerichtetem Besteck, Kerzenständern und auf Hochglanz polierten Weingläsern schmückten den vorderen Teil der altehrwürdigen Halle, Couchecken mit bestimmt einhundert Jahre alten, aber perfekt gepflegten Möbeln den hinteren. An der Rückwand befand sich ein gigantischer Kaminofen und darüber ein ebenso gigantisches Porträt eines Sirs auf einem Rosse, gemäß der goldenen Tafel der Gründer des königlichen Yachtclubs. Hier und da saßen ein paar vorwiegend ältere Herren im Jackett und ein paar wenige Damen auf den Sofas und genossen ihr Bier. Mit kurzer Hose und T-Shirt kam ich mir etwas deplaziert vor. Das Vereinsleben der jüngeren Generation schien sich vorwiegend draußen auf den Terrassen abzuspielen, wo bunte Scheinwerfer zur Musik aus großen Lautsprechern tanzten und eine Bar große Trauben aus jungen SeglerInnen um sich versammelte. Immerhin fand an diesen Tagen eine große Regatta statt und entsprechend belebt waren Club, Marina und auch die angrenzende Stadt, wo zu diesem Anlass sogar ein kleiner Rummel aufgebaut worden war. Tony erwartete mich auf einem der Sofas, er war ein bestimmt 1,90m großer, gepflegter, geschätzt 70-jähriger Mann mit weißem Haar und gewitztem Blick, mit dem ich in den nächsten zwei Stunden das Vergnügen hatte, während die Seekarten ihren Weg durch das überlastete WLAN des Yachtclubs auf seinen Rechner fanden. Er fragte mich Löcher über unseren Törn in den Bauch und erzählte mir selbst viel über seine wilde Vergangenheit mit Geschäftsreisen, Frauen, Autos und natürlich Segeln. Alle paar Minuten kamen Leute vorbei, die ihn fröhlich begrüßten und sichtlich erfreut waren, dass er mal wieder seinen Weg in den Yachtclub gefunden hatte. Dann stellte er mich jeweils wie einen guten Bekannten vor mit kurzer Beschreibung unseres Törns, und so wurde ich in zig Smalltalks verwickelt. Trotz des pompös-abschreckenden Charakters der Räumlichkeiten waren die Menschen in ihnen sehr freundliche, interessierte, bodenständige Leute und es war fast schade, nur als Gast dort zu sein.

Mit neuen Seekarten ausgerüstet segelten wir entlang der Küste nach Bangor/Nordirland und weiter über den North Channel nach Schottland. Mit Strömung bis zu 3kn und schweren brechenden Seen bei gegen die Dünung laufendem Strom wollte die Umrundung des berühmt-berüchtigten Mull of Kintyre gut geplant sein, doch dann machte es Spaß, mit 8-9kn über Grund voranzukommen. Durch zunehmend gebirgige Landschaften segelten wir bis zur Insel Gigha, wo der Anker in der hervorragend geschützten nördlichen Bucht fiel. Auf einer kleinen Beiboottour sahen wir sogar eine Seehundsfamilie. Die ebenfalls in der Bucht ankernden Franzosen fuhren ebenfalls mit dem Beiboot an Land, setzten sich ans Ufer und drehten laut “Cotton Eye Joe” auf. Eine lustige Runde im Nirgendwo. Unser nächster Tagesschlag führte uns nach Crinan, wo wir mit richtig schottischem Wetter begrüßt wurden. Da keine Aussicht auf Besserung bestand, machten wir trotz Dauerregens einen Spaziergang entlang des Crinan Canals (er wäre unsere Alternativroute gewesen, hätte aber mit einer dreistelligen Befahrungsgebühr zu Buche geschlagen) und durch den Regenwald, der sich dort tatsächlich auch so nannte.

Hinter Crinan wartete eine der navigatorischen Schlüsselstellen auf uns: Durch die Passagen Dorus Mor und den Sound of Luing floss der Gezeitenstrom schneller als unser Boot segeln konnte und passt man nicht auf, so schreibt der Revierführer, wird man nach Westen in den Golf von Corryvreckan gespült, wo riesige Strudel schon kleinere Boote verschlungen haben sollen. Wie empfohlen durchfuhren wir die Passagen, während der Strom gerade kenterte, und waren nahezu gelangweilt, weil was Wasser absolut ruhig war: ein Knoten Strom, keine Wellen, keine Stromschnellen. Hatten uns im Nachhinein fast gewünscht, 1-2h später hindurchgefahren zu sein, um wenigstens ein kleines bisschen Wildwasser zu erleben. Aber besser so als andersherum. Durch großartige Landschaften und einen immer schmaler werdenden Sund fuhren wir weiter in die schottischen Highlands hinein, bis wir abends am Anlegesteg von Fort William festmachten. Leider passte das Wetter nicht für eine Wanderung auf Großbritanniens höchsten Berg Ben Nevis, aber ein paar kleinere Touren unternahmen wir trotzdem.

 

 

Tea time!

Die Überfahrt zu den Scilly Islands stand an! 125 Seemeilen, für uns entsprechend etwas über 24h, fühlten sich nach der Biskaya fast wie ein Katzensprung an. Um 6 Uhr morgens starteten wir und während der Wind in den ersten Stunden noch auf sich warten ließ, schob uns der Ebbstrom zuverlässig durch den berüchtigten Chenal du Four nach Nordwesten. Turbulente Strömung und viele Felsen und Untiefen machten die Fahrt anspruchsvoll, aber insgesamt war es doch eher harmlos. Auf der offenen See hinter der uns schon bekannten Ile d’Ouessant setzte dann auch der Wind ein und auf tiefem Anwindkurs machten wir durch die relativ ungemütliche Welle leider nicht so viel Fahrt wie erhofft. Voran ging es aber allemal und interessant blieb es auch, da wir immerhin die Ausläufer des Ärmelkanals passierten, der immerhin zu den am stärksten befahrenen Schifffahrtsrouten der Welt gehört. Mit immer einem Auge auf dem AIS querten wir die Straße teils vor, teils hinter riesigen Containerschiffen und Mehrzwecktrockenfrachtern (das Wort hatten wir von Thomas gelernt und waren sehr stolz darauf) und fühlten uns wie beim Radeln durch Berlin. Fredi machte die ungemütliche See leider sehr zu schaffen und so übernahm ich allein die komplette Wache, bis am nächsten Morgen um kurz nach 7 Uhr endlich die Scilly Islands in Sicht kamen. Die Begrüßung war sehr britisch: Dichte Bewölkung, feucht-kühle Luft und Sprühregen ließen nun keinen Zweifel mehr aufkommen, dass wir die warmen Regionen Südeuropas endgültig hinter uns gelassen hatten. Die Scilly Islands sind ein Archipel westlich der äußersten Spitze Cornwalls im offenen Atlantik und haben den Ruf, Großbritanniens Karibik zu sein. Durch das milde Seeklima wachsen dort sogar Palmen und viele Sandstrände und kristallklares Wasser lassen, bei entsprechendem Wetter, so richtig Urlaubsstimmung aufkommen. Die Ankerbucht zwischen St. Agnes und Gugh versprach bei den aktuellen Bedingungen guten Wind- und Wellenschutz und so ankerten wir dort zwischen zahlreichen anderen Segelbooten. Nach Ausschlafen und Wetterbesserung erkundeten wir die abgelegenen und sehr lieblichen Inselchen. Nur eine Handvoll Einwohner lebten auf St. Agnes, auf Gugh gab es sogar nur genau ein Haus. Auch die Touristenmenge hielt sich in Grenzen: Ein paar vorwiegend britische und französische Segelcrews aus der Bucht waren mit ihren Beibooten am die zwei Inseln trennenden Strandstreifen angelandet und eine Bootsladung voller Besucher, die von der Hauptinsel St. Mary’s für einen Tagesausflug mit der Mini-Fähre angekommen waren, belebten die Insel für ein paar Stunden am Tag zusätzlich. Nach dem Ablegen der Fähre am Nachmittag kehrte absolute Ruhe ein.

Ein paar Tage blieben wir in der Bucht, bevor wir ein paar Meilen weiter zur Hauptinsel St. Mary’s fuhren, da relativ starke Winde und Seen angesagt waren, gegen die unsere Bucht keinen ausreichenden Schutz bot. Richtige Häfen gab es auf den Scilly Islands nicht bzw. keinen für herkömmliche Segelyachten, da der Haupthafen von St. Mary’s bei Niedrigwasser trockenfällt. So entschieden wir uns für die Bucht Porth Cressa auf der Südseite von St. Mary’s. Und wir waren nicht die einzigen: Unzählige Yachten lagen bei unserer Ankunft bereits vor Anker und nur mit Mühe ließ sich ein Ankerplatz mit knapp ausreichendem Sicherheitsabstand zu den Schwojkreisen der anderen Boote finden. Auch St. Mary’s gefiel uns sehr gut. Die Menschen waren sehr freundlich und die Landschaft und Blumenwelt famos. Der Rundwanderung um die leicht hügelige Insel war lieblich und führte zu entlegenen Sanstränden, durch bunte Vegetation, über Weiden, an Bauernhöfen vorbei und als Besonderheit über die Landebahn des Flughafens. Lediglich ein kleines Blinklicht vor dem Übergang forderte einen bei Flugbetrieb dazu auf, das startende oder landende Flugzeug vor dem Fortsetzen der Tour abzuwarten.

 

Während draußen eine steife Brise wehte, lagen wir in der Bucht zwar windgeschützt, aber die Welle arbeitete sich vor allem bei Hochwasser (der Tidenhub war mit 5-6m durchaus beachtlich) um den schützenden Landzipfel herum und bescherte uns unruhige Nächte. Nach einer knappen Woche auf den Scillies beschlossen wir, ein zwar nicht perfektes, aber immerhin geeignetes Wetterfenster zu nutzen und die Überfahrt nach Irland anzutreten, da ein Sturmtief vorhergesagt war, das drei Tage später bei uns eintreffen sollte. Das würde ohne sicheren Hafen bestimmt keinen Spaß machen und so liefen wir schon morgens um 5 Uhr aus, um möglichst lange brauchbare Windrichtungen zu haben. Da der Wind zunehmend auf Nord drehen sollte, hielten wir bewusst nach Westen vor und segelten dadurch in einer großen Kurve nach Irland. Immerhin ging die Rechnung auf und wir konnten die gesamte Strecke auf einem Bug zurücklegen. Mit gerefften Segeln und starker Krängung kämpfte sich Moana durch die ungemütlichen Bedingungen.

Im Gegensatz zur Fahrt von Brest zu den Scilly Islands begegneten wir auf der gesamten Fahrt nur einem einzigen Schiff, einer britischen Segelyacht, die uns wenige Stunden nach dem Auslaufen entgegenkam. Deren Skipper hatte nach über 24h auf See keinen aktuellen Wetterbericht mehr abrufen können und fragte uns höflich in gestochenem Oxford-Englisch, ob wir ihm einen aktuelleren Bericht liefern könnten, was wir gern taten. Er erinnerte mich etwas an einen alten britischen Professor, der in Lagos lag und jeweils für Tagesausflüge mit seiner Frau hinausfuhr. Sein Schiff war groß, seine Reaktionen nicht mehr die besten und obendrein fuhr er jedes Hafenmanöver mit voller Fahrt, was Fredi dazu veranlasste, sich bei jedem seiner Anleger mit einem Fender in der linken, einem in der rechten Hand und einem zwischen den Zähnen wie ein Torwart angespannt an Deck zu stellen. Uns traf er zwar nie, dafür aber einmal mit Schmackes den Steg. Nachdem sein spitzer Bug mit dumpfem Scheppern ein dreieckiges Stück Holz aus dem ächzenden Schwimmsteg herausgestanzt hatte, kommentierte er nur völlig ruhig “Well, we have had better landings, haven’t we.” Zur Vollendung des Klischees fehlte eigentlich nur noch eine Teetasse in seiner Hand. Doch zurück in den Nordatlantik. Rosslare erreichten wir am nächsten Mittag und vor der irischen Küste beruhigte sich auch die See zunehmend, bis direkt vor der Küste Bedindungen wie auf der Havel vorherrschten. Der Wind verhielt sich leider auch so und war in Lee des Landes stark böig, sodass wir immer wieder stark refften, wieder ausrefften und manchmal sogar den Motor nutzen mussten. Da wir zufällig perfekt zum Beginn des nordgehenden Gezeitenstroms vor Rosslare ankamen und uns immer noch der angesagte Sturm im Nacken lag, beschlossen wir, in einem Rutsch bis nach Dun Laoghaire, einem der großen beiden Yachthäfen Dublins, durchzusegeln. Das einzige, was dagegen sprach, war die Angst vor dem Anfunken des Hafens, da wir keinerlei Vorstellung hatten, wie man “Dun Laoghaire” wohl aussprach. (Später lernten wir, dass es “Dun Leerie” ausgesprochen wird, die spinnen, die Iren…) Und so segelten wir mit achterlichem Strom mit hoher Geschwindigkeit entlang der Küste weiter nach Norden. Fix und fertig, aber glücklich, setzten wir am späten Abend des zweiten Segeltags zum ersten Mal einen Fuß auf irischen Boden und freuten uns auf die kommenden Pausentage.

Biskaya

Von Leixoes aus war es nur noch ein kleiner Hüpfer entlang der Küstenlinie nach Galizien in Spanien. Dort gefiel es uns richtig gut, es gab grün bewachsene Berge, Nadel- und Eukalyptuswälder, Landzungen mit Heidekrautbewuchs und Leuchttürmen sowie Ankerbuchten mit feinen Sandstränden. Eigentlich hätten wir noch sehr lange in diesem Revier bleiben können, aber für die kommende Woche sah das Wetter perfekt für die Biskayaüberquerung aus und wer weiß, wann das das nächste Mal der Fall sein würde. Daher beschlossen wir, nur eine knappe Woche in Galizien zu verbringen, wo wir ein bisschen wanderten und unseren Motorbatteriehauptschalter ersetzten, und dann zügig die Biskaya zu überqueren. In A Coruna hatten wir zum ersten Mal das Gefühl, so langsam nicht mehr im Süden, sondern in Mitteleuropa angekommen zu sein, als wir durch die Stadt schlenderten. Auch das Wetter wurde langsam deutlich durchwachsener mit Regenschauern und viel Bewölkung. Hier stieß Thomas zu uns, der uns auf unserer Überfahrt unterstützte.

 

Die Biskaya präsentierte sich von ihrer besten Seite: Moderate Segelwinde, maximal 1-1,5m Wellenhöhe, viel blauer Himmel, Delfine und sogar ein kleiner Haifisch zeigten sich uns. Leider hatten wir auch viel Flaute und mussten entsprechend einen Teil mit Motor fahren. Drei Tage und drei Nächte verbrachten wir ohne nennenswerte Komplikationen auf hoher See, bis wir am vierten Morgen in die südwestliche Bucht der Insel Ouessant einliefen und an der Muringboje festmachten. Nach ein paar Stunden Schlaf paddelten wir zur kleinen Pier und erkundeten die wunderschöne Insel mit gemieteten Fahrrädern. Bei strahlendem Sonnenschein hatten wir das Gefühl, in einer Bilderbuchlandschaft unterwegs zu sein. Nur den lange ersehnten Crepe fanden wir leider nicht und speisten wir auf dem Schiff.

 

 

 

 

 

 

Das Seegebiet um die Insel herum ist berüchtigt, da starke Gezeitenströme zwischen den vielen Felsen und Inseln hindurchschießen, insbesondere, aber nicht nur im Winter starke Stürme über die Bretagne hinwegfegen und beides zusammen zu hohen, brechenden Wellen führt, die selbst schon großen Schiffen zum Verhängnis geworden sind. Nach einem großen Tankerunglück vor vielen Jahren wurden daher zahlreiche Leuchttürme in der Umgebung gebaut, einen von denen kannten wir von dem bekannten Foto, auf dem eine bestimmt 10m hohe Welle von hinten an den Leuchtturm donnert, während auf der vorderen Seite der Leuchtturmwärter, fast wie eine Spielzeugfigur wirkend, durch die geöffnete Tür herausschaut, neugierig auf den Helikopter, von welchem aus das Bild aufgenommen wurde. Aktuell konnten wir uns solche Bedingungen allerdings kein bisschen vorstellen, denn die See war ruhig und von starkem Wind keine Spur. Strömungen gab es natürlich trotzdem und wir mussten sie gut in unsere Planung einbeziehen, damit wir es zum Festland nach Camaret-sur-Mer schafften und nicht, wie es in einem Bericht stand, von hinten von einer Fahrwassertonne überholt wurden.

In Camaret fanden wir endlich unseren heißersehnten Crepe und spazierten durch das etwas touristische, aber insgesamt noch sehr nette und ursprüngliche Fischerdorf. Am nächsten Tag tankten wir und fuhren die letzten paar Seemeilen in die Förde hinein nach Brest, wo wir im Hafen festmachten. Die Stadt war nicht übermäßig hübsch, aber sehr lebenswert mit buntem Treiben in den Cafés, jungen Leuten in den Parks und Boule spielenden älteren Herren unter Platanen. Abends gönnten wir uns erneut Crepes, bevor Thomas uns am nächsten Tag verließ und wir noch ein bisschen am Boot arbeiteten. Der Hafen stellte kostenlose Leihräder zur Verfügung und so bunkerte ich noch viel gutes französisches Essen, denn wir hatten frisch beschlossen, von hier nach Großbritannien zu segeln und da würde es bekanntlich nicht die beste Küche geben. Eine Seekarte von Großbritannien suchte ich allerdings vergeblich, obwohl ich in vielen gut ausgestatteten Seefahrtsbedarfläden war. Man schien es hier mit großem Unverständnis zu betrachten, dass jemand überhaupt den Wunsch hegen könnte, die schönen französischen Gewässer wieder verlassen zu wollen. Und so war es in jedem Laden das gleiche Schauspiel: Der Verkäufer fragte nach dem Vortragen meines Anliegens in gebrochenem Englisch noch mal verwundert nach: “Grå Brittöön? Proböbly notte…” und ging dann die Schublade mit den Karten durch “Golfe de Gascogne 1, Golfe de Gascogne 2, Bretagne Nord, Bretagne Sur, La Manche, La Manche, Bretagne Sur, La Manche… Non, monsieur, excusez moi.” Nun ja, wir hatten immerhin noch die Reservekarte auf dem Handy und würden es damit schon bis ins Vereinigte Königreich schaffen.

Im Schnelldurchlauf durch Portugal

Während ich in Deutschland noch ein paar Notarztdienste schrubbte, war Fredi bereits wieder mit ihrem Vater Andreas zum Boot gereist. In drei Arbeitstagen arbeiteten sie tagein, tagaus am Boot, sodass wir zum Zeitpunkt meiner Rückkehr neben vielen reparierten Dingen unter anderem neue Obstnetze und eine neue Navigationsleuchte hatten.

Meine Mutter Sabine kam wenige Stunden vor mir in Lagos an und zu viert wollten wir an den folgenden Tagen nach Lissabon segeln. In der Tat sollte es für die gesamte kommende Woche ein Pause im dort sonst üblichen starken Nordwind geben und die wollten wir nutzen, um möglichst viel Strecke gen Norden zu machen. Denn wenn der Wind wieder einsetzte, würde es bedeuten, gegen Strom, Wind und Atlantikwelle aufzukreuzen und das macht nicht nur keinen Spaß, sondern ist auch nicht effizient möglich. So nahmen wir lieber in Kauf, nicht so viel von Portugals Westküste zu sehen. Unsere Gesamtzeit auf dem Boot war schließlich konstant und auch weiter im Norden würde es noch tolle Gegenden zu entdecken geben. Der erste lange Schlag führte uns westwärts an der Algarve entlang und ums Cabo Sao Vicente herum, wo nicht nur plötzlich starker Wind aufkam, sondern sich von hinten ein Orca näherte. Normalerweise ein Grund zur Freude und in diesem Seegebiet waren auch lange keine Angriffe mehr gemeldet worden, aber Orcas sind schnell und man weiß ja nie. Daher schalteten wir lieber den Motor ein, legten den Hebel auf den Tisch und rasten mit Mopsgeschwindigkeit vor die Steilküste in flacheres Wasser. Tatsächlich folgte uns der Orca nicht, vielleicht war er auch nie an uns interessiert gewesen, man weiß es natürlich nicht genau. Aber einer Begegnung aus dem Weg zu gehen, erschien uns alle Male sicherer. Wir segelten noch bis Sines, wo wir nachts in die Marina einliefen. Dort schmiss man uns direkt wieder hinaus, die Marina sei geschlossen, aus Sicherheitsgründen. Äußerst seltsam, so mitten in der Saison, zumal andere Boote dort am Steg lagen. Aber es war absolut keine Verhandlung möglich und so ankerten wir im Vorhafen. Ohne einen Fuß an Land zu setzen, starteten wir gleich am nächsten Morgen in Richtung Lissabon. Der Wind hatte auf Südwest gedreht und produzierte einen zunehmenden Seegang, der bei der Einfahrt in die Flussmündung des Tejo unangenehm steil wurde. Wider Erwarten arbeitete sich die Dünung den Fluss hinauf bis in die Innenstadt und der erste Hafen, in dem wir reserviert hatten, war nicht anlaufbar, da eine ernstzunehmende See im Hafenbecken stand, die ein sicheres Anlegen unmöglich machte. Ganz abgesehen davon, dass selbst, wenn wir es an einen Liegeplatz geschafft hätten, an Schlaf nicht zu denken gewesen wäre. In der größeren und besser geschützten Marina Alcantara bekamen wir glücklicherweise noch einen Liegeplatz und lagen damit in fußläufigem Abstand vom Stadtzentrum. Geschafft! In nur zwei Tagen von Lagos bis Lissabon. Am nächsten Tag machten wir Pause und guckten uns die Stadt an, fuhren mit der histerischen Straßenbahn und kehrten in einem erstklassigen Restaurant ein.

Am nächsten Morgen flog Andreas leider wieder nach Hause, aber Fredi, Mutti und ich liefen aus und wollten es bis Nazaré schaffen. An der Flussmündung des Tejo erwartete uns mit dem gegen die Atlantikdünung laufenden restlichen Ebbstrom eine bösartige steile See, wie wir sie auf dem gesamten Törn nur ein oder höchstens zwei mal erlebt hatten. Bis zu drei Meter hoch türmten sich die Wellenberge vor uns auf und mehrmals knallte das gesamte Schiff unbarmherzig ins folgende Wellental. Immerhin wurde das Vorschiff dadurch gründlich gespült und die neue Navigationsleuchte einem echten Härtetest unterzogen. Eine lange halbe Stunde dauerte der “Spaß”, bis sich die See jenseits der Mündung beruhigte und wir durch gewöhnliche 1,5m Atlantikdünung tuckerten. Teils unter Motor, teils unter Segel legten wir die lange, küstenparallele Strecke nach Nazaré zurück, wo wir kurz vor Mitternacht einliefen. Der noch relativ ursprüngliche Fischerort ist durch seine teils deutlich über 20m hohen Monsterwellen berühmt, die im Winter Big Wave-Surfer aus der ganzen Welt anziehen. Nicht jedoch heute, glücklicherweise. Meine Mutter verließ uns hier und fuhr mit dem Bus nach Porto, wir verfolgten ihren Bus mit dem Schiff. Da der Schlag 90sm lang war, trafen wir jedoch erst nachts im vorgelagerten Hafen Leixoes ein, als sie nicht nur in der Stadt angekommen oder zum Flughafen gefahren war, auch nicht, als sie mit in Hahn aus dem Flugzeug ausgestiegen war und auch nicht, als sie nach einer weiteren knapp zweistündigen Busfahrt Mainz erreicht hatte, sondern erst, als sie schon längst zu Hause im Bett lag. Da merkten wir mal wieder richtig, wie langsam die Fortbewegung per Segelboot nach modernen Maßstäben eigentlich ist. Aber eben auch ganz wunderbar, so langsam zu reisen und den Fortschritt der Reise von Wind, Wetter und Meer bestimmen zu lassen.

Im Land der Orcas

In Benalmadena kam Inken an Bord und wir stachen noch am selben Tag in See, weiter entlang der Küste in Richtung Südwesten. Am übernächsten Tag erreichten wir Gibraltar, das sich seinem Status als britische Exklave offenbar bewusst war und uns gebührend mit starkem Regen empfing. Vor der Halbinsel mit dem berühmten Affenfelsen herrschte reger Schiffsverkehr, immerhin ist die Straße von Gibraltar eine der am stärksten befahrenen Wasserwege der ganzen Welt. Für uns war der ganz besondere Moment gekommen, aus dem Mittelmeer auf den Atlantischen Ozean hinauszufahren und damit zum ersten Mal seit Beginn unseres Törns das Meer zu wechseln. Zum ersten Mal hatten wir es mit Gezeiten, Gezeitenströmen und langer und potenziell hoher Dünung zu tun, aber die größere Gefahr war ganz anderer Natur: Eine Gruppe randalierender Orcas machte die Straße von Gibraltar und das sie umgebende Seegebiet unsicher und sorgte für Schlagzeilen, da sie nicht nur viele zig Segelyachten durch Rammen und Abbrechen des Ruderblatts manövrierunfähig gemacht, sondern dabei gleich drei Boote versenkt hatte. Das letzte Opfer, eine 15 Meter lange Charteryacht vom Typ Bavaria 51 von “Alboran Charter”, hatten sie erst wenige Wochen vor unserem Eintreffen gefunden und vor der Hafeneinfahrt des Fischerortes Barbate versenkt. Nun ist Alboran Charter nicht die beste Firma und in den sozialen Medien wurde schnell gemutmaßt, dass das Schiff dank mangelhafter Wartung auch ohne das Zutun der Wale ohnehin irgendwann gesunken wäre. Wir waren jedoch gut vorbereitet, hatten Kanäle abonniert, in denen alle Orca-Sichtungen und -interaktionen gepostet wurden und säckeweise Sand geladen, den wir bei Bedarf über Bord geben konnten. Denn sandiges Wasser meiden Orcas wohl, da die Körnchen im Luftloch angeblich einen fiesen Hustenreiz auslösen. Da sie jedoch nichts davon abhält, zurückzukommen, wenn uns der Sand ausgeht, hatten wir als ultima ratio auch noch ein paar Feuerwerkskörper besorgt. Zwar konnte die spanische Verkäuferin im Feuerwerkfachgeschäft keinerlei Englisch, aber meine pantomimische Darstellung eines Böllers war wohl gut genug zu verstehen, sodass ich mit einem preisreduzierten Dreierpack “SUPER TRUENO EXTREMO” zurück zum Schiff gerollert war. Laut Berichten würde wohl spätestens der laute Knall eines Böllers die Orcas zur Flucht bewegen.

Die beste Verteidigung jedoch war es, eine Begegnung überhaupt zu vermeiden, und das, so waren sich alle einig, gelänge am sichersten, indem man küstennah im Flachwasserbereich führe. Das taten wir auch und passierten die teils bis zu sieben Seemeilen ins Meer hinausragenden Thunfischnetze zwischen Strand und Netzende, mit teilweise nur wenigen Metern Wasser unter dem Kiel. Und tatsächlich, wir sahen keinen einzigen Orca, während wir über Funk die Meldung einer Yacht hörten, die am gleichen Tag zur gleichen Zeit etwas weiter draußen von Orcas angegriffen wurde. Mit perfektem Wetter und ruhiger See erreichten wir nachmittags Barbate, direkt vor der Hafeneinfahrt ragte der Mast der gesunkenen Bavaria wie ein Mahnmal mehrere Meter aus dem Wasser heraus. Am nächsten Tag ging es weiter nordwärts, wir hielten uns abermals dicht unter Land, ließen Cadiz steuerbord liegen und segelten bis in den Rio Guadalquivir. Was wie ein Virustatikum klingt, ist ein Fluss, der durch weitläufige Sumpflandschaften führt und bis ins viele zig Seemeilen im Binnenland liegende Sevilla schiffbar ist. Wir begnügten uns jedoch mit einem geschützten Ankerplatz kurz hinter der Mündung, wo wir übernachteten. Das von Sandbänken, Sümpfen, Büschen und grünen Bäumen gesäumte Ufer wurde vom blutroten Sonnenuntergang in ein ganz besonderes Licht gehüllt und wir hatten die spontane Assoziation, in Afrika zu sein, das wir immerhin noch einen Tag zuvor in Form Marokkos am Horizont gesehen hatten. Mit “Toto” aus dem Lautsprecher genossen wir unser Abendessen im Cockpit. Die Orcas waren wohl immer noch im bekannten Hotspot um Barbate herum unterwegs und so gestaltete sich unsere Weiterfahrt etwas entspannter. Wir blieben vorsichtshalber küstennah, denn Orcas laufen ja immerhin auch bis zu 30kn und könnten uns somit spielend einholen, aber dafür gab es bislang keinerlei Anhalt und so konnten wir uns langsam in Sicherheit wiegen. Nach einem weiteren Zwischenstopp in Punta Umbria, unserem ersten An- und Ablegemanöver in der Gezeitenströmung, überquerten wir die Grenze zu Portugal und segelten mit wiederholten Regen- und Gewitterschauern bis zur Lagune von Faro.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die östliche Einfahrt misslang, da wir auf eine der häufig ihre Position ändernden Sankbänke aufliefen und dann lieber keinen weiteren Versuch wagen wollten. Nach 5sm Umweg erreichten wir die Haupteinfahrt und bemerkten, dass wir den Gezeiten bei der Törnplanung offenbar noch zu wenig Beachtung geschenkt hatten, denn wir erreichten sie inmitten des Ebbstroms, der wie ein Wildwasserfluss aus der Öffnung zwischen den beiden Molenköpfen herausschoss. Nach 10 Stunden auf See hatten wir jedoch auch keine Lust, drei weitere Stunden draußen herumzudümpeln, bis der Strom kenterte, und so versuchten wir unser Glück. Es standen keinerlei brechende Seen und so wäre das schlimmste Los, von der Strömung wieder hinaus aufs Meer gespült zu werden. Mit Gashebel auf dem Tisch steuerten wir die wie wild in den Stromschnellen rollende Moana durch die Einfahrt. In den Wellentälern standen wir jeweils kurzzeitig auf der Stelle, aber im Zeitlupentempo arbeiteten wir uns bergauf in die Lagune. Sobald das Gewässer sich hinter den Molen verbreiterte, ließ auch der Strom nach und wir schafften es mit langsamer, aber deutlicher Vorwärtsfahrt bis zum Ankerplatz vor der Insel Culatra. Geschafft! Am nächsten Tag setzten wir mit dem Beiboot über und spazierten über die wunderschöne Insel. Es war ein bisschen wie auf Langeoog: autofrei, ausgedehnte Dünenlandschaften mit dem typischen Geruch von Dünengras, ein langer Sandstrand und ein paar Fischer im Hafen. Die Häuser mit ihren bunten Kacheln und mannigfaltigen Blumen erinnerten uns jedoch schnell daran, in Portugal zu sein. Wir hoben den Anker und segelten mit einer Übernachtung im Hafen von Albufeira weiter in die hübsche Stadt Lagos.

 

Unterwegs ankerten wir für einen kurzen Stopp vor der berühmten Höhle von Benagil und besichtigten sie mit dem Beiboot. Beeindruckend war sie sehr: eine riesige Felskuppel mit zwei nur zum Meer offenen Eingangsbögen, hoch oben im Höhendach ein großes Loch, durch das das Sonnenlicht einfiel und der Boden bestand aus feinstem Sand, quasi ein unterirdischer Sandstrand. Dass die Höhle von vielen Touristen besucht wird, wussten wir und waren extra schon in den Morgenstunden angereist, aber wie schlimm es tatsächlich war, hatten wir kaum zu glauben gewagt: Auf der ansonsten spiegelglatten See hatte sich eine durch im 30-Sekunden-Takt an den Klippen vorbeirasenden hochmotorisierten Ausflugsbooten eine nicht aufhörende steile Kreuzsee gebildet, durch die sich hunderte Sit-on-top-Kajaks kämpften, organisiert in 10-20 Mann starken Divisionen, die wiederum von einem motorisierten Boot begleitet wurden. Technobässe hallten durch die Luft und wurden untermalt vom Kreischen blasser (Hinweg) bis krebsroter (Rückweg) britischer Touristinnen, die mit RIBs über die Wellen knallten. Kleinere Ausflugsboote fuhren in die Höhle hinein und erbrachen im Minutentakt Scharen von Touristen über Landerampen auf den Sandstrand. Ein D-Day in klein. Und da wundern wir Menschen uns noch, dass Orcas unsere Boote angreifen. Verständlich waren die Besucherströme aber dennoch, denn der Ort war wahrlich einmalig. Eine Beschränkung der Höhleneinfahrt auf ausschließlich Schwimmer und muskelkraftbetriebene Boote würde dem Ort jedoch durchaus nützen.


Lagos war sehr schön und der Hafen perfekt gelegen: Sandstrand auf der einen Seite, Bahnhof und Busbahnhof nur wenige Gehminuten entfernt und die malerischen und belebten Fußgängerzonen der Altstadt ließen sich von der Marina aus über eine klappbare Fußgängerbrücke aus schnell erreichen. Inken verließ uns leider wieder in Richtung Schweiz und auch Fredi und ich reisten für etwas über eine Woche nach Hause: Fredi zum Geburtstag ihrer Tante, ich zum Arbeiten, denn im Geldbeutel herrschte mal wieder Niedrigwasser.

Spananien

Ein paar Tage gönnten wir uns noch auf Mallorca. Fredi und Claudia wohnten im Hotel an der Ostküste und ich durfte für zwei Nächte dazustoßen. Zu meiner großen Freude waren auch meine Freunde Esther und Gabriel auf der Insel und so tobten Gabriel und ich uns beim Klettern aus, während Fredi und Claudia wanderten. Nach Claudias Abreise zog es Fredi und mich ins Tramuntana-Gebirge, wo wir eine Mehrseillängenroute (eine etwas schwierigere Variante der berühmten Albahida) kletterten. Den nächsten Tag erledigten wir ein paar liegen gebliebene Arbeiten am Schiff und erholten uns außerdem ein bisschen, bevor wir am Folgetag nach Ibiza segelten. Nach einer Nacht vor Anker an der Nordküste steuerten wir den Hafen von Sant Antoni an. Hier wimmelte es von Sauftouristen, Drogenopfern und Parties. Jeden Nachmittag kamen unzählige Ausflugsboote mit rot verbrannten und stark alkoholisierten vorwiegend britischen Touristen von ihren Fahrten zurück und es wir fieberten jeweils mit, ob alle es schaffen würden, über den Steg zurück aufs Festland zu torkeln. Aber es half nichts, die Windvorhersage band uns für zwei Nächte an den Hafen und viele Bootsarbeiten wollten obendrein erledigt werden.

Dafür war uns anschließend ein wahres Paradies vergönnt: Die karibisch anmutende Strandlandschaft Formenteras und der kleinen benachbarten Insel Espalmador. Wir genossen die zwei Tage vor Anker sehr, bevor wir zur dicht besiedelten Spanischen Festlandsküste aufbrachen.

 

 

 

 

 

Nur ein langer Tagesschlag führte uns nach Calpe, wo wir im Hafen direkt neben dem beeindruckenden Felsmassiv “Peñis d’Ifack” lagen. Eine Kletterroute mit acht Seillängen auf dessen Gipfel ließen wir uns nicht entgehen und es war witzig und sehr ungewohnt, direkt vom Schiff wie ein Weihnachtsbaum behangen mit Halbseilen, Klemmgeräten, Bandmaterial und Karabinern zu starten. Leider lagen zwei Möwennistplätze in unmittelbarer Nähe der Route und einer der Vögel versuchte mich mit dem Absetzen von Stuhlgang auf T-Shirt und Helm (alles voll!) zum schnellen Weiterklettern zu ermutigen. Ich stank wie Sau, aber es half nichts, umziehen konnte ich mich erst abends wieder.

 

Anschließend segelten wir zügig und mit nur wenigen Zwischenstopps weiter Richtung Südwesten. Ein paar hübsche Städtchen wie Cartagena lagen auf unserem Weg, aber viele Orte waren doch eher charakterlos und luden nicht sehr zum Verweilen ein. Das Mar Menor bildete eine Ausnahme: Vom Mittelmeer durch eine Nehrung mit kleinem Zufahrtskanal getrennt, segelte man auf ihm wie auf einem Binnensee: ruhiges, warmes Wasser und bei fast überall nur wenigen Metern Tiefe konnte man einfach überall ankern, während die Lichter der Hochhausburgen an den Ufern weit entfernt wirkten.

Die außerplanmäßige Reparatur unserer Rollgroßanlage und einer Schotwinsch bescherte uns einen zweitägigen Aufenthalt in Almeria, wo es entsprechende Werkstätten gab. Noch bevor die Mechaniker Zeit für uns hatten, schafften wir jedoch alles selbst und waren sehr stolz auf uns. Mit ansonsten nur kurzen Übernachtungsstopps segelten und motorten (wir hatten viel Flaute) wir zügig weiter nach Benalmadena im Speckgürtel von Malaga, wo wir uns eine zweitägige Pause gönnten. Neben einer Besichtigung der malerischen und auf sehr angenehm entspannte Weise belebten Altstadt fuhren wir auch zum Botanischen Garten, dem wohl schönsten, den wir beide je besichtigt hatten.

 

 

 

 

 

 

Und am nächsten Tag machten wir einen Ausflug ins Landesinnere nach “El Chorro”, wo es eine berühmte Schlucht zu besichtigen galt. Der spektakuläre Wanderweg hindurch (“Caminito del Rey”) war jedoch zugangsbeschränkt und wir hätten wohl Monate im Voraus buchen müssen. Klettergebiete gab es dort ebenfalls, aber es war einfach viel zu heiß und so legten wir lieber einen Badestopp am benachbarten Stausee ein. Neben dem Pflichtprogramm aus Einkauf und Wäsche waschen erledigten wir weitere Reparaturen am Boot und freuten uns auf Inkens Besuch.

So wird der Dickdarm wieder richtig sauber.

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