Nach empfundenen Ewigkeiten auf ruhigen Binnengewässern wagten wir uns in die letzte Schleuse und fuhren auf die Nordsee hinaus. Die Kardinaltonne vor der Hafeneinfahrt stand deutlich schräg und zog ein wildes Kehrwasser hinter sich her und kurze Zeit später fuhren auch wir mit kurzem Gieren und Krängen in den starken Gezeitenstrom des Moray Firth ein. Natürlich waren wir nicht aus Spaß um 5:30 Uhr morgens ausgelaufen, sondern wollten, wenn es nun schon wieder Gezeiten gab, den Strom auch von achtern haben. Moana beschleunigte auf über 10kn über Grund und wir sausten unter der großen Hängebrücke hindurch an den Ausläufern von Inverness vorbei. Gegen 7 Uhr, als die Förde breiter wurde, schaffte es auch der Wind über die Berge zu uns und wir setzten die Segel. Entlang der schottischen Nordseeküste ging es nach Nordosten in Richtugn Wick. Ein riesiges Kreuzfahrtschiff passierten wir knapp hinter seinem Heck, ein größeres Fischereischiff passierte uns knapp hinter unserem, wir wichen mehreren Fischernetzen aus, ansonsten verlief der Segeltag ereignislos und wir freuten uns über die entspannte, aber schnelle Segelei durch die ruhigen Wasser des Festlandlees. Abends liefen wir im Hafen von Wick ein und machten gegenüber von einem netten deutschen Pärchen fest, die in den nächsten Tagen von dort non-stop über die Nordsee nach Cuxhaven segeln wollten. Auf einmal schien unser Ziel Deutschland in greifbarer Nähe zu sein.

Der Hafenmeister von Wick hatte zwei richtig süße Hunde und während einer links und einer rechts von meinem Stuhl stand und ich beide kraulen musste, blieb mir kaum eine freie Hand zum Ausfüllen des Gastliegerformulars. Wir besprachen unseren Zeitplan für die Überfahrt zu den Orkneyinseln mit dem Hafenmeister, denn die Etappe führte über die Ausläufer des Pentland Firth, einem der kräftigsten Gezeitenströme der Welt, der in der Springzeit (die war unpassenderweise genau an unserem Überfahrtstag) bis zu 16kn schnell strömt und in Kombination mit gegenläufiger Welle schon Segelboote und selbst größere Frachtschiffe zur Kenterung gebracht oder widerwillig auf eine der mitten im Strom liegenden Inseln geschoben hat. Der Hafenmeister empfahl ein Auslaufen gegen 11 Uhr und eine großzügige Umfahrung des Sandy Riddles, was sich mit unseren Berechnungen und Informationen deckte, und so machten wir uns am nächten Vormittag nach einem kleinen Küstenspaziergang auf den Weg.

Wind gab es leider gar nicht und auch der Strom verhielt sich leider nicht ganz so wie geplant, so betrug er zwar nur 1-2kn, aber über viele Stunden immer von vorne. Erst gegen Abend, bereits östlich querab der Durchfahrt zwischen den Orkneys, begann er, uns zu schieben, und so tuckerten wir immerhin die letzten zwei Stunden schnell und durch wunderschöne Abendlandschaften nach Kirkwall hinein. Zwei vorbeifahrende Jetskifahrer winkten uns fröhlich zu und trugen trotz 12°C und viel selbst erzeugtem Spritzwasser nur kurze Hosen. Die spinnen, die Schotten! In der Bucht von Kirkwall war es absolut ruhig und windstill und so sparten wir uns die Hafengebühren und ankerten vor der Stadt. Am nächsten Tag mieteten wir uns Fahrräder und radelten bei perfektem blauen Himmel durch die klare kühle Luft und entdeckten mehrere Highlights der großen Hauptinsel: die Steilküste von Yesnaby, das prähistorische Dorf Skara Brae, den Ring of Brodgar und die stehenden Steine von Stenness. Die Landschaft dazwischen war von Wiesenhügeln, Schafen und Kühen geprägt und gewiss lebten hier deutlich mehr Nutztiere als menschliche Einwoher.

 

Früher einmal gehörten die Orkneyinseln zu Norwegen und so sieht nicht nur die Flagge verblüffend ähnlich aus, sondern klingen auch viele Ortsnamen recht skandinavisch. Abends holten wir den Anker auf und legten noch 17sm nach Stronsay zurück, um uns den langen Schlag des nächsten Tages etwas zu verkürzen. Zeit für einen Landgang blieb leider nicht, denn die Nacht brach bereits herein und am nächsten Tag mussten wir früh starten. Ein Sturmtief hatte sich über dem Nordatlantik formiert und würde uns am übernächsten Tag erreichen und für mehrere Tage bleiben. In fünf Tagen würde eine Mitsegelcrew auf den Shetlandinseln eintreffen, und würden wir nicht rechtzeitig vor dem Sturm dort ankommen, säßen wir erstmal für eine Woche auf den Orkneyinseln fest. Zu spät für die Crew, zu spät für Fredis gebuchte Rückreise nach Deutschland. So starteten wir morgens früh und erreichten am späten Vormittag die wunderschöne Insel Fair Isle, wo der Anker in der Südbucht fiel und wir eine kurze Wanderung über die Insel unternahmen. Fruchtbare Wiesen begrünten Hochplateaus, an deren Rand steile Klippen in die See hinab stürzten, dazwischen herrschte reger Flugverkehr: Möwen, Tölpel, selbst die seltenen Papageientaucher lebten hier in großer Stückzahl. Kein Wunder, dass die Insel kaum Einwohner hat, aber viele Vogelfreunde aus der ganzen Welt anzieht. Und das trotz der abenteuerlichen Anreise: Auf dem großbritannischen Festland muss man erst einmal mit der Bahn oder einem Inlandsflug nach Aberdeen im Nordosten Schottlands. Dort wartet eine ca. 12-stündige Fährfahrt über Nacht durch ein oft zorniges Seegebiet nach Lerwick oder alternativ ein Propellerflug nach Sumburgh auf den Shetlandinseln auf den Vogelfreund. Und von Sumburgh fliegt dann, sofern es keinen Nebel gibt, eine noch kleinere Propellermaschine nach Fair Isle. Oder wiederum eine kleine Fähre, aber nur, wenn es keinen Sturm gibt.


Noch genossen wir die Insel bei perfektem Sonnenschein und an Land deutete noch nichts darauf hin, dass hier am nächsten Tag ein Sturm mit bis zu sechs Meter hohen Wellen toben würde. Am Nachmittag lichteten wir den Anker und erlebten bei der Ausfahrt aus der Bucht die ersten Vorboten des Sturms. Zwar war selbiger noch weit entfernt, aber da sich Wellen im Wasser deutlich schneller und weiter ausbreiten als der sie erzeugende Wind, stießen wir im Gegensatz zur morgendlichen Fahrt durch ruhiges Wasser plötzlich auf unangenehmen Seegang. Mit geschätzten zwei Metern nicht sehr hoch, aber furchtbar steil und unangenehm traf die See aus Moanas Bug und schüttelte uns ordentlich durch. Auch hatte der Wind so weit in Richtung Nord gedreht, dass wir keinen direkten Kurs in Richtung Shetlandinseln laufen konnten. Zum ersten Mal auf dem gesamten Törn war Fredi nicht übel, aber mir schon, hatte sie doch in weiser Voraussicht gleich zwei Tabletten Vomex gefuttert. Und so lag ich unten in der Kajüte, während Fredi tapfer die Stellung hielt und Moana, teils mit Motorunterstützung, teils ohne, durch die grässliche See prügelte. Gegen Mitternacht ließ die See in der Abdeckung der Shetlandinseln etwas nach und gegen halb drei nachts erreichten wir den Hafen von Lerwick. Hier oben war Lerwick weit und breit der einzige Hafen, der sicheren Rundumschutz bot, und so hatte er ob des drohenden Sturms schon unzählige andere Segelboote angezogen. Freie Plätze direkt an der Pier gab es gar keine mehr, überall lagen schon mindestens zwei Boote im Päckchen. So machten wir als drittes Boot an einem Österreicher fest, der ein paar Minuten später schlaftrunken aus seinem Niedergang herausschaute. Wir entschuldigten uns für die nächtliche Störung, aber er war sehr nett. “Servus! Basst ois bei eich?” Die nächsten drei Tage würden wir Nachbarn bleiben, denn bei dem draußen wütenden Sturm verließ niemand freiwillig den Hafen. Selbst ein kleineres Kreuzfahrtschiff blieb sicherheitshalber im Hafen. Es hätte den Bedingungen gewiss standgehalten, aber ob das auch für seine Passagiere zutraf, durfte man als mehr als ungewiss annehmen. Wir machten das beste aus der Situation, mieteten ein Auto und guckten uns die Shetlandinseln von land aus an. Sie hatten wenig spektakuläres, hatten aber durchaus eine wilde und abgelegene Schönheit inne, eine einsame Oase im wilden Nordatlantik.