Von Korfu aus führte unser Törn in Siebenmeilenschritten in Richtung Peloponnes, wegen der schon knapp gewordenen Zeit bis zum Eintreffen der ersten Gäste blieb leider nicht viel Raum für ausgedehntere Stopps unterwegs. Mit viel Wind aus der richtigen Richtung und unserem erneuerten Rigg kamen wir zügig und sicher und mit Freude am Segeln voran, aber die entsprechende Welle arbeitete sich bis nachts selbst in die meisten Häfen vor und so war leider nur selten an guten Schlaf zu denken. Wir gönnten uns einen Nachmittag vor Anker nördlich von Mytikas, um im dortigen Klettergebiet an ausgezeichnetem Kalkstein zu klettern. Mit Wind und Schatten waren die Temperaturen erträglich und es war ein gutes Gefühl, uns endlich einmal wieder zu bewegen. Ein weiteres Highlight auf unserem Weg war ein riesiges Schildkrötenpärchen im Hafen von Kyparissia, bestimmt 80-90cm lang waren die Tiere und damit die größten, die wir jemals gesehen hatten. Entspannt schwammen sie durch das Hafenbecken, tauchten hier und da auf und guckten uns mit großen Augen an. Nördlich von Pylos ankerten wir in der großen Navarinou-Bucht, hier hatte im 19. Jahrhundert eine große Seeschlacht stattgefunden und es gab multiple Holzschiff-Wracks, eins lag gut sichtbar am Strand angespült. Der Strand an sich war ohnehin großartig: Kilometerlang mit feinem Sand (eine Seltenheit für Griechenland) und dank der Abgelegenheit wenig besucht lud er zu ausgedehnten Spaziergängen ein. Das flach auslaufende Wasser glitzerte weiß-blau und erzeugte ein gewisses Karibik-Gefühl. Nicht, dass wir jemals dort waren, aber so ähnlich stellten wir es uns vor. Hinter dem Strand lag ein kleiner wanderbarer Berg mit der Ruine einer Festung auf dessen Gipfel, von der man eine tolle Aussicht die Steilküste hinunter und über das offene Meer und auf der anderen Seite auf die Navarinou-Bucht, den Sandstrand und Pylos am anderen Ende der Bucht hatte.

 

Auch hier galt es noch einiges an Reparaturen zu erledigen, Wäsche zu waschen, aufzuräumen und das Boot zu schrubben, denn am Dienstag kamen Christoph, Matthias und Henrik an Bord. Zu fünft wollten wir die Peloponnes südlich umrunden und die unterwegs liegenden Klettergebiete beklettern, um eine Woche später in Nafplion einzutreffen. Der verlässliche nachmittägliche Wind bescherte uns eine schnelle Überfahrt zur unbewohnten Insel Sapientza, wo wir den Anker fallen ließen und übernachteten. Mit einem der schönsten Sternenhimmel überhaupt, denn um uns herum war es bis auf das Leuchtfeuer am südlichen Inselzipfel stockfinster und so bewunderten wir die Milchstraße genau über uns. Am nächsten Tag wollten wir die lange Strecke um das zweite Peloponnes-Kap herum bis nach Porto Kagio zurücklegen und so starteten wir schon früh, wobei wir in der morgendlichen Flaute den Motor nutzten. Südlich des ersten Kaps ging die Motordrehzahl plötzlich in den Keller, normalisierte sich kurz wieder, aber keine Minute starb der Motor mit einem jämmerlichen Geräusch ab und ließ sich auf Gedeih und Verderb nicht wieder starten. Das Schiff stoppte auf, legte sich quer zur Welle und rollte in der Flaute unbarmherzig hin und her. Sofort hatten wir den Diesel im Verdacht. Der acht Jahre lang im Tank vor sich hin gegammelt habende Treibstoff war in Plataria von Leon und Herbert zwar abgepumpt und durch frisch gezapften Diesel ausgetauscht worden, aber ein Rest des flockigen Alt-Diesels war dennoch im Tank verblieben. Denn es gab leider keine Wartungsöffnung, durch die wir den Tank anständig hätten putzen können. In weiser Voraussicht hatten wir ein paar Kraftstofffilter als Reserve erworben und nun war offenbar der perfekte Moment gekommen, unseren ersten Filterwechsel zu versuchen. Dank Seegang kostete es einiges Fluchen und Kleckern, aber alles in allem gelang der Wechsel überraschend problemlos. Und tatsächlich, der alte Filter sah relativ zugesetzt aus. Optimistisch starteten wir den Motor erneut, vielmehr versuchten wir es, denn die Maschine wollte trotz einwandfreien Startergeräuschs weiterhin einfach nicht anspringen, schien aus irgendwelchen Gründen keinen Diesel zu bekommen. Mist. Unsere Dieselstandanzeige hatte noch nie funktioniert und zeigte immer voll an, darauf war kein Verlass. Wir gingen im Kopf also noch einmal die Motorstunden seit dem letzten Tankstopp durch. Vielleicht hatten die Manöver doch deutlich mehr Sprit benötigt als angenommen oder vielleicht stimmte der angegebene Verbrauch des Motors ohnehin nicht und lag deutlich höher? Und vielleicht waren wir beim letzten Tankstopp übers Ohr gehauen und der Tank war nicht voll befüllt worden? Welche Ursache auch immer führend war, unser Dieseltank schien jetzt peinlicherweise leer zu sein, das war die naheliegendste Lösung. Das Gute daran war immerhin, dass wir keinen Mechaniker und keine Ersatzteile benötigten, sondern nur eine Tankstelle. Und die gab es in Koroni, etwa fünf Seemeilen nördlich von uns. Bei weiterhin absoluter Flaute mussten wir jedoch erst einmal dorthin gelangen. Kurzerhand spannten wir das mit dem Elektroaußenborder bewaffnete Beiboot mit langen Leinen vor das Mutterschiff und versuchten, es zu schleppen. Das gelang in gewissem Umfang auch (wir schafften knappe zwei Knoten Fahrt), allerdings würde der Akku des Außenborders laut Anzeige nur 1h40min durchhalten, das reichte also nur für etwa drei Seemeilen, nicht die benötigten fünf. Während ich in der sengenden Hitze das Schiff in einem Anflug von Aktionismus trotzdem mit leisem Surren durch die Wellen in die richtige Richtung zog, versuchte Fredi, über Funk den Hafen und Yachten im Umkreis zu erreichen. Vielleicht würde uns ja jemand für einen Kasten Bier die verbleibende Strecke in den Hafen schleppen. Ein netter australischer Katamaran bot seine Hilfe an, er würde seinen Kurs entsprechend ändern und wäre dann in etwa 40 Minuten bei uns. Die Hafenpolizei antwortete ebenfalls, vergewisserte sich, dass keine bedrohliche Situation vorlag und erklärte, dass sie kein eigenes Boot hätten und höchstens einen einheimischen Bootseigner fragen könnten. Das wäre dann aber ein “private agreement”, wir müssten also um den Preis verhandeln. Nun, der Australier war sowieso schon unterwegs, also entschieden wir uns für ihn. Ein Touristendampfer fuhr vorbei und empfahl uns, doch unsere Segel zu nutzen. Auf diese Idee waren wir noch gar nicht gekommen, aber als einige Minuten später tatsächlich Wind einsetzte, folgten wir der Empfehlung und segelten gemütlich in Richtung Koroni. Plötzlich ertönte der Alarmton des Funkgeräts und kurz darauf folgte die Durchsage: “Pan Pan, Pan Pan, Pan Pan!” Eine Dringlichkeitsmeldung, also jemand, der Hilfe brauchte, auch wenn vorerst keine akute Gefahr für Leib und Leben bestand. Auch wenn wir selbst gerade nicht in der Lage waren, jemandem sinnvoll Hilfe zu leisten, hörten wir dennoch gespannt zu. Und trauten unseren Ohren nicht, als die Stimme fortsetzte (übersetzt): “Hier ist Olympia Radio (der offizielle Seefunkdienst Griechenlands). Die deutsche Segelyacht Moana, ca. 4sm südlich von Koroni, ist außer Kontrolle und benötigt dringend Schlepphilfe. Die Telefonnummer lautet:…” Und dann wurde Fredis Telefonnummer unter ihren lautstarken Protesten über Funk über das gesamte griechische Seegebiet hinweg verbreitet. Ein Blödsinn, wir hätten nie “Pan Pan” gefunkt und unsere Lage war alles andere als bedrohlich. Daher funkte ich umgehend an alle Seefunkstellen zurück, dass wir aktuell keinerlei Hilfe benötigten und Olympia Radio das “Pan Pan” mit sofortiger Wirkung aufheben möge. Antworten wollte mir niemand. Wohl aber Fredi, deren Handy kurz vor dem Hafen Koronis dreiundzwanzig verpasste Anrufe anzeigte, allesamt von der Hafenpolizei. Noch bevor wir uns angemessen über die Leute aufregen konnten, kam auch schon der vierundzwanzigste Anruf: Wir sollen uns nach geglücktem Ankermanöver bei der dortigen Dienststelle melden.

Dem leisteten wir brav Folge und erfuhren, dass unser Boot mit sofortiger Wirkung festgesetzt sei. Unsere Ausweise wurden einbehalten und wir dürften Koroni nicht verlassen. Denn schließlich sei unser Schiff offenbar nicht seetauglich, denn wir hätten ja “Pan Pan” gerufen. Dass wir das nicht haben, bestritt er und es sei ohnehin egal, da sämtliches Hilfeersuchen an offizielle Stellen hierzulande als Dringlichkeitsmeldung gewertet würde. Der weitere Weg sei in jedem Fall der gleiche: Wir müssten uns an die deutsche Botschaft wenden, diese müsste ein Formular ausfüllen, dass einem staatlich autorisierten griechischen Bootsmechaniker die Erlaubnis erteilte, ein deutsches Boot zu betreten und zu inspizieren. Dann müssten wir einen solchen Mechaniker kontaktieren, einen Termin vereinbaren und dieser würde dann unser Boot inspizieren und ihm nach behobenem Problem (also Auffüllen des Dieseltanks) die Seetauglichkeit attestieren. Das ganze würde um die 500-1000€ kosten und sich mit etwas Glück schon im Laufe des Folgetags erledigen lassen. Vergeblich suchte ich den Raum nach der versteckten Kamera ab. Wir diskutierten noch eine ganze Weile, aber es war absolut nichts zu machen. Frustriert rief ich bei der deutschen Botschaft in Athen an. Die dortige Mitarbeiterin lachte sich schlapp, solch eine absurde Blüte griechischer Bürokratie habe sie auch noch nicht erlebt und wisse spontan auch nicht, was sie da machen könne oder müsse. Jetzt am späten Nachmittag seien aber schon alle zu Hause und sie hätte nur das Notfallhandy. Ich müsste mich am folgenden Morgen erneut melden, dann sei eine griechische Mitarbeiterin da, die sich damit vermutlich auskenne.

Die Crew zapfte derweil netterweise viel Diesel bei der Tankstelle am Stadtrand und trug ihn in Kanistern zum Boot. Wir begannen, den Tank zu füllen, aber nach etwa 50 Litern ging nichts mehr hinein. Der Tank fasste jedoch 135l und war ja schließlich leer gewesen, also musste ein weiteres Problem vorliegen, möglicherweise mit der Tankentlüftung? Funktionierte diese nicht, konnte auch kein weiterer Treibstoff hineingefüllt werden. Vielleicht war das auch schon beim letzten Tanken das Problem gewesen: Der Tank war vermutlich nie voll. Kein Wunder, dass uns unerwartet früh der Diesel ausgegangen war. Aber am Anfang in Plataria hatten sich durchaus problemlos 135l Diesel in den leergepumpten Tank füllen lassen. Ein Puzzleteil schien noch zu fehlen… Wie auch immer: 50l sollten erst einmal für eine Weile reichen. Wir entlüfteten die Dieselleitung und TADA!, die Maschine schnurrte wieder wie ein Kätzchen.

Am nächsten Morgen rief ich wieder die Botschaft an. Diesmal war die versprochene griechische Mitarbeiterin am Apparat. Diese fand die ganze Situation überhaupt nicht absurd, es handle sich vielmehr um eine sinnvolle Regelung, die unsere Sicherheit gewähren solle. Dass man als Segler ein intrinsisches Interesse daran hat, auf einem seetauglichen Boot unterwegs zu sein und solche Regelungen vielmehr fördern, dass Leute sich eher gefährden, weil sie aus Angst vor Sanktionen auch im Notfall eher zu spät um Hilfe ersuchen, überzeugte sie wenig. Griechische Regeln seien durchdacht und alles in allem der Perfektion ziemlich nah. Sie bot jedoch an, der zuständigen Polizeibehörde ein Dokument zuzusenden, auf dem ich unterschreiben könne, die Verantwortung für mein Boot zu übernehmen, in den meisten Fällen dürfte man dann weitersegeln. Immerhin. Und tatsächlich, nachdem das Dokument in Koroni angekommen war, die Polizisten es zu deren Oberabteilung nach Kalamata schickten, die es wieder zurückschickten, ich es unterschrieb, die Polizisten mir ein Formular ausstellten, dass ihre zuvorige Festsetzungsanordnung mit sofortiger Wirkung aufgehoben sei, ich auch dieses unterschrieb und sie sich für meine Kooperation bedankten (was wäre auch die Alternative gewesen, der überschüssige Diesel war zu wenig explosiv, um die Polizeiwache damit in die Luft zu jagen), waren wir offiziell frei und durften von dannen segeln.

Mit wieder richtig viel Wind umrundeten wir das zweite Peloponnes-Kap und warfen bereits im Dunklen den Anker in der Bucht von Porto Kagio. Und am nächsten Tag ging es direkt weiter: Ein etwas kürzerer Schlag führte uns, wieder mit viel Wind und Welle, an Elafonisos vorbei bis in den kleinen Hafen von Prophitis Ilias, wo neben uns maximal eine weitere Yacht Platz gehabt hätte. Allein die Hafeneinfahrt zwischen Mole und Felsen war so schmal, dass man den Ouzo hier definitiv erst nach dem Festmachen trinken sollte. Aber ein wahrlich toller Ort! Ein paar Fischerboote, viele Katzen, ein paar Häuschen mit in allen Farben blühenden Blumen und im Hintergrund der karge Berg Zobolo, über das der starke Wind die Wolken fegte. Und direkt auf der anderen Seite, keine zehn Meter von uns entfernt, donnerte die Brandung an die Mole und die Gischt füllte die Luft mit Salz. Das Klettergebiet am Zobolo ließ sich in einer dreiviertel Stunde zu Fuß erreichen und so gingen Henrik und Matthias am nächsten Morgen klettern. Christoph brauchte eine Pause, Fredi hatte Schulterschmerzen und ich blieb aus Solidarität ebenfalls unten und wir widmeten uns, eigentlich wie immer, den Bootsarbeiten und einem Spaziergang. Christoph hatte netterweise den reparierten Kurscomputer des Autopiloten aus Deutschland für uns mitgebracht und den schlossen wir jetzt an. Leider funktionierte der Autopilot trotzdem weiterhin nicht, es war zum Mäuse melken.

Nachmittags stachen wir in See und umrundeten mit achterlichem Starkwind das berüchtigte Kap Maleas, das dritte Peloponnes-Kap. Die Fahrt war anstrengend, aber lief gut und an Verlusten hatten wir nur eine Schirmmütze und den Unterliekstrecker zu beklagen. Glücklicherweise hatten wir noch eine Ersatzschot dabei und so ersetzten wir das Tau noch in Fahrt. Über Monemvasia, Leonidio und Bibari ging es nach Nafplion und an den letzten zwei Tagen kamen wir endlich mal ein bisschen zum Klettern. Der alten Stadt Monemvasia statteten wir natürlich auch einen Besuch ab und sie beeindruckte uns sehr. In Nafplion verließen unsere Gäste uns und gaben uns mal wieder einer Mischung aus Bootsarbeiten und Freizeit hin. Auch ein schöner Klettertag war dabei. Wir schraubten das gesamte Tankentlüftungssystem auseinander und prüften alles auf Gängigkeit. Das hieß, ich blies in jede Menge stinkender Dieselschläuche und Überlauföffnungen und habe damit vermutlich mehrere Jahre Nichtrauchen kompensiert. Das Ergebnis war, dass alles problemlos funktionierte. Wir tankten erneut, aber auch diesmal ging nicht viel in den Tank. An der Entlüftung konnte es nicht liegen. Und so dämmerte es uns, dass es schlicht und ergreifend kein Problem mit dem Tank gab. Der Tank war nie leer gewesen und der Motor arbeitete vorbildlich sparsam. Warum war die Maschine also ausgefallen? Es wird in der Tat der verstopfte Filter gewesen sein und was wir danach mangels Erfahrung vergessen hatten, war das Entlüften der Leitung, das hatten wir schließlich erst nach dem Tanken erledigt. Eine Schraube und zehn Sekunden Pumpen hätte uns unglaublich viel Ärger erspart. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer und die Geschichte mit der Polizei können wir noch unseren Enkeln erzählen.

Und unsere neue Genua war endlich fertig! Mit dem Bus fuhr ich nach Athen, wo ich das gute Stück entgegennahm. Auf das Segeln waren wir schon sehr gespannt!