Unser erster Schlag führte uns über Paxos weiter nach Süden in Richtung Lefkas, wo ein Techniker unseren defekten Autopiloten reparieren und ein Rigger nach vielen Jahren vor der großen Fahrt unser stehendes Gut prüfen sollte. Als “stehendes Gut” werden im Prinzip alle Aufbauten zum Segeln, die kein Tauwerk sind, also im Wesentlichen der Mast und alle Drähte, die ihn stützen, bezeichnet. Bei Flaute fuhren wir größere Teile des Tages unter Motor nach Preveza, wo am Folgetag Fredis Schwester Bici und deren Freundin Tabea zusteigen wollten. Die Idee war, in der Bucht direkt hinter dem Flughafen zu ankern und die beiden mit dem Beiboot einzusammeln. Der Wind wehte nur schwach von hinten, die Sonne schien und für den verbleibenden Tag und die Nacht waren friedliche Bedingungen vorhergesagt, sodass wir das Boot für die zwei Seemeilen von der Stadt zum Flughafen nicht großartig seefest machten, die Genua (das Vorsegel) setzten und gemütlich in Richtung Flughafen dümpelten. Vorerst, denn nach wenigen Minuten Fahrt kamen plötzlich und unerwartet Schaumkronen auf uns zugerast und noch bevor wir das Segel auch nur ansatzweise bergen konnten, hatte uns ein Starkwindfeld fest im Griff. Das Schiff krängte, unten im Salon fielen Gegenstände durcheinander und Moana raste los. Normalerweise ein großer Segelspaß, aber mit unvorbereitetem Boot und unvorbereiteter Crew gefährlich. Fredi versuchte unten, alles festzuhalten, während Andreas und ich versuchten, die Genua wegzureffen. Ohne funktionierenden Autopiloten war jedoch einer am Steuer gebunden und beim anliegenden Winddruck misslang das Manöver. Mit zugeschaltetem Motor fuhr ich Moana in den Wind, der Segeldruck war weg, aber das Segel schlug im Starkwind wie wild und das alte Tuch riss sofort. Dafür gelang es nun, das Segel zu bergen, zumindest teilweise. Bevor noch größerer Schaden entstand, entschied ich mich, das Segel kurzerhand mit Hilfe der Winsch wegzureffen. Und das, obwohl ich es auf meinen Törns immer allen verbiete, denn wenn ein Widerstand da ist, sollte man die Ursache suchen und bekämpfen und nur wenn sicher ist, dass sich nichts verklemmt, darf man ausnahmsweise mal die Kurbel zu Hilfe nehmen. Mit einem nur kleinen Segelrest, der noch draußen war, aber wie wild schlug und da ich jederzeit weitere Risse befürchtete, griff ich zur verbotenen Kurbel. Es gelang mir, das Segel wegzureffen, aber ein sehr unschönes Geräusch ließ dabei nichts Gutes vermuten. Wir fuhren die paar Meter zur Ankerbucht zurück und ich inspizierte den Schaden. Das Vorstag, ein Drahtseil, das den Mast nach vorn stützt, war abgerissen. Der nächste große Rückschlag.

Nun gut, den Termin beim Rigger hatten wir ohnehin und da der Rest des stehenden Guts auch schon in die Jahre gekommen war, entschieden wir uns, gleich alles tauschen zu lassen, um zukünftig beruhigter segeln zu können. Das sei kein Problem, sagte man uns, wir sollen einfach zum Check-Termin erscheinen, da würde man alles vermessen und in der darauffolgenden Woche die Arbeiten erledigen. Gesagt, getan, wir ersetzten das gebrochene Vorstag behelfsmäßig durch ein Spinnakerfall und fuhren unter Motor (der inzwischen einwandfrei und zuverlässig funktionierte, man soll ja nicht nur meckern) nach Lefkas. Die Rigger kamen an Bord, begutachteten alles, sagten uns, dass wir für die Formalitäten ins Büro am anderen Ende der Marina kommen sollten und verabschiedeten sich mit “see you next week!”. Also marschierte ich sofort ins Büro, sonst gab es ohnehin nicht viel zu tun, und stand zehn Minuten später in einem angenehm klimatisierten Raum, überall Tauwerk, Segeltuch und anderes Bootszeug, und in der Mitte ein Schreibtisch mit einer netten Dame dahinter. Die den Auftrag so annehmen würde wie besprochen, allerdings mit der “klitzekleinen” Änderung, dass sie die Arbeiten erst Ende August erledigen könnten. Ende August? Das war anders besprochen und wir wollten zum einen bald segeln und uns zum anderen auch nicht veräppeln lassen. Aber freundliches Bitten und gutes Zureden halfen genauso wenig wie Schimpfen und Drohen und so beschloss ich, Konkurrenzangebote aus der Region einzuholen. Im Prinzip überall das selbe: Man würde sich gern kümmern, aber da ganz Griechenland im August in eine Art Sommerschlaf falle, Betriebe stillstehen, Lieferanten nicht liefern und Arbeiter nicht arbeiten, könne man uns erst einen späteren Termin anbieten. Die einzige Ausnahme bildete ein großer Betrieb auf Korfu, dessen freundlicher Manager Errikos mir am Telefon zusagte, dass man gleich nächste Woche beginnen könne und vermutlich auch bis Ende der Woche fertig werde. Großartig! Wir packte unsere sieben Sachen zusammen und fuhren unter Motor das Wochenende hindurch wieder zurück Richtung Nordwesten nach Korfu. Bei jeder größeren Welle gestresst, ob der behelfmäßig befestigte Mast halten würde, denn ein Mastbruch, das war klar, würde mehr oder weniger einen Totalschaden bedeuten. Montag war, wie so oft in Griechenland, ein Feiertag, also legten wir am Dienstag in der Marina Gouvia an und standen Errikos gegenüber. Dieser machte Mut, man würde heute schon mit den Vorbereitungen starten, morgen den Mast entfernen und das stehende Gut im Laufe der Woche ersetzen. Jedoch habe sein Chef-Rigger ihn gebeten, uns mitzuteilen, dass wir den Mast vermutlich nicht bis Ende der Woche zurückerhielten, sondern es wohl erst Anfang nächster Woche etwas werden würde. Das war anders besprochen, aber gut, ein paar Tage hin oder her machten den Kohl nicht fett, und so begannen die Arbeiten. Der Mast wurde mit einem großen Kran entfernt (wir sprachen medizingeschädigt immer von der “Mastektomie”) und an Land aufgebahrt, um im Laufe der folgenden Tage mit neuem Material bestückt zu werden. Was das kostet, solltet ihr besser gar nicht erst fragen… Nach Möglichkeit versuchten wir, jeden Nachmittag wieder aus der Marina abzuhauen und draußen zu ankern, denn auch die Übernachtung kostete je nach Tag 76-90€. Dafür waren immerhin ein kaum funktionierendes WLAN und alte Campingplatztoiletten inklusive sowie freier Zugriff auf Salzwasserhähne. Für Süßwasser wären 14€ Zuschlag fällig gewesen.

 

Beim Ankern fiel jedoch auf, dass das Brett, auf dem die leistungsstarke Ankerwinsch befestigt war, morsch war und sich bei jedem Aufholen des Ankers gefährlich nach unten durchbog. Wir befragten zwei Bootsmechaniker dazu und sie versicherten uns unabhängig voneinander glaubhaft, dass das Brett schon angebrochen sei. Ein Austausch war nötig, damit uns nicht irgendwann beim Anker aufholen die gesamte Platte mitsamt Winsch in hohem Bogen über Bord fliegen würde, und so kam Nikos ins Spiel. Ein netter griechischer Familienvater (wie wir lernten), der uns für viele, viele weitere Euros ein neues Brett als GFK-Sandwich anfertigen und einpassen würde. Eine Wahl hatten wir nicht und so sagten wir zu. Eine Woche würde er brauchen, maximal, und so konnten immerhin beide Reparaturen zeitgleich ausgeführt werden. Ankern konnten wir jedoch logischerweise nicht mehr und so investierten wir viel Geld in die Marina Gouvia und bekamen zum Dank lauthals grölende italienische Chartercrews als Nachbarn oder durften den von der Marina-Bar organisierten “Spanischen Abend” miterleben, das bedeutete vollen Bassklang über alle Stege hinweg bis nachts um 3 Uhr. Tagsüber brüteten wir in der schwülen Hitze und es war kaum möglich, Arbeiten unter Deck zu erledigen, allenfalls in den frühen Morgen- und späten Abendstunden. Für Sport war es auch zu warm, durch die überfüllte, wenn auch schöne Innenstadt zu spazieren hatten wir auch bald satt und so vegetierten wir vor uns hin und kamen an guten (windigen) Tagen ein bisschen mehr und an schlechten Tagen kaum mit den Bootsarbeiten voran. Die Stimmung war am Boden. Passanten, die uns schadenfroh ein “euch fehlt da was” oder “nice motorboat” entgegenwarfen, verbesserten das Gefühl kaum. Erst recht, als uns Errikos auf mehrmalige Nachfrage mitteilte, dass das Rigg doch noch länger brauchen würde und uns von Tag zu Tag auf den nächsten vertröstete.

 

Am Ende wurde es nicht zum Ende der ersten Woche und nicht zum Anfang der folgenden, sondern erst zum Ende der folgenden fertig. Nikos hingegen kam täglich vorbei, setzte sich unter seinen mitgebrachten Sonnenschirm aufs Vorschiff und bastelte an der neuen Befestigungsplatte für die Wisch. Ab und zu brachte er uns einheimisches Ginger Ale in verschiedenen Geschmacksrichtungen mit, setzte sich mit uns ins Cockpit und quatschte zwei Sätze in gebrochenem Englisch, bevor er wieder von dannen zog. Das waren immer die nettesten Momente in der gefühlt feindlichen Marina, die uns regelrecht das Geld aus der Tasche zog.

Das Wochenende nutzten wir, um unter Motor nach Plataria zu fahren, wo Tina uns netterweise eine alte (aber ganze!) nicht mehr benötigte Genua übergab. Das Segel war zwar zu kurz, aber besser als gar keins und so würden wir nach dem Wiedereinbau des Mastes bis zur Fertigstellung unserer neuen Genua immerhin mit zwei Segeln segeln können. Wir rollten das Tuch aus und überraschenderweise war es von Walter Benrowitz angefertigt worden, Am Pichelssee in Berlin-Spandau, der Segelmacher aus dem Nachbarhaus! Zufälle gibt’s. Sogar ein Berliner Bär war am Vorliek aufgedruckt.

 

Am Freitag gaben alle Beteiligten noch einmal Vollgas und arbeiteten bis zum Abend, Nikos an der Ankerwinschbefestigung und Errikos Team am Rigg. Trotz aller Frustration kam dann gegen 19 Uhr der tolle Moment, als der Mast wieder stand, die Ankerwinsch wieder angeschlossen war und plötzlich ein funktionstüchtiges Segelboot vor uns stand. Nach einem Handschlag legten wir ab und fuhren die halbe Seemeile hinaus in die Ankerbucht vor der Marina. Der Abend wurde perfekt: Sternenklar und von den Lichtern der die Bucht säumenden Hotels umgeben lauschten wir in der absoluten Exklusivität unseres Cockpits dem Open-Air-Jazzkonzert an Land, während wir unser Abendessen genossen. Glücklich, dass wir den Reparaturmarathon endlich hinter uns hatten und viele zu entdeckende Orte nun auf uns warteten.