In Benalmadena kam Inken an Bord und wir stachen noch am selben Tag in See, weiter entlang der Küste in Richtung Südwesten. Am übernächsten Tag erreichten wir Gibraltar, das sich seinem Status als britische Exklave offenbar bewusst war und uns gebührend mit starkem Regen empfing. Vor der Halbinsel mit dem berühmten Affenfelsen herrschte reger Schiffsverkehr, immerhin ist die Straße von Gibraltar eine der am stärksten befahrenen Wasserwege der ganzen Welt. Für uns war der ganz besondere Moment gekommen, aus dem Mittelmeer auf den Atlantischen Ozean hinauszufahren und damit zum ersten Mal seit Beginn unseres Törns das Meer zu wechseln. Zum ersten Mal hatten wir es mit Gezeiten, Gezeitenströmen und langer und potenziell hoher Dünung zu tun, aber die größere Gefahr war ganz anderer Natur: Eine Gruppe randalierender Orcas machte die Straße von Gibraltar und das sie umgebende Seegebiet unsicher und sorgte für Schlagzeilen, da sie nicht nur viele zig Segelyachten durch Rammen und Abbrechen des Ruderblatts manövrierunfähig gemacht, sondern dabei gleich drei Boote versenkt hatte. Das letzte Opfer, eine 15 Meter lange Charteryacht vom Typ Bavaria 51 von “Alboran Charter”, hatten sie erst wenige Wochen vor unserem Eintreffen gefunden und vor der Hafeneinfahrt des Fischerortes Barbate versenkt. Nun ist Alboran Charter nicht die beste Firma und in den sozialen Medien wurde schnell gemutmaßt, dass das Schiff dank mangelhafter Wartung auch ohne das Zutun der Wale ohnehin irgendwann gesunken wäre. Wir waren jedoch gut vorbereitet, hatten Kanäle abonniert, in denen alle Orca-Sichtungen und -interaktionen gepostet wurden und säckeweise Sand geladen, den wir bei Bedarf über Bord geben konnten. Denn sandiges Wasser meiden Orcas wohl, da die Körnchen im Luftloch angeblich einen fiesen Hustenreiz auslösen. Da sie jedoch nichts davon abhält, zurückzukommen, wenn uns der Sand ausgeht, hatten wir als ultima ratio auch noch ein paar Feuerwerkskörper besorgt. Zwar konnte die spanische Verkäuferin im Feuerwerkfachgeschäft keinerlei Englisch, aber meine pantomimische Darstellung eines Böllers war wohl gut genug zu verstehen, sodass ich mit einem preisreduzierten Dreierpack “SUPER TRUENO EXTREMO” zurück zum Schiff gerollert war. Laut Berichten würde wohl spätestens der laute Knall eines Böllers die Orcas zur Flucht bewegen.

Die beste Verteidigung jedoch war es, eine Begegnung überhaupt zu vermeiden, und das, so waren sich alle einig, gelänge am sichersten, indem man küstennah im Flachwasserbereich führe. Das taten wir auch und passierten die teils bis zu sieben Seemeilen ins Meer hinausragenden Thunfischnetze zwischen Strand und Netzende, mit teilweise nur wenigen Metern Wasser unter dem Kiel. Und tatsächlich, wir sahen keinen einzigen Orca, während wir über Funk die Meldung einer Yacht hörten, die am gleichen Tag zur gleichen Zeit etwas weiter draußen von Orcas angegriffen wurde. Mit perfektem Wetter und ruhiger See erreichten wir nachmittags Barbate, direkt vor der Hafeneinfahrt ragte der Mast der gesunkenen Bavaria wie ein Mahnmal mehrere Meter aus dem Wasser heraus. Am nächsten Tag ging es weiter nordwärts, wir hielten uns abermals dicht unter Land, ließen Cadiz steuerbord liegen und segelten bis in den Rio Guadalquivir. Was wie ein Virustatikum klingt, ist ein Fluss, der durch weitläufige Sumpflandschaften führt und bis ins viele zig Seemeilen im Binnenland liegende Sevilla schiffbar ist. Wir begnügten uns jedoch mit einem geschützten Ankerplatz kurz hinter der Mündung, wo wir übernachteten. Das von Sandbänken, Sümpfen, Büschen und grünen Bäumen gesäumte Ufer wurde vom blutroten Sonnenuntergang in ein ganz besonderes Licht gehüllt und wir hatten die spontane Assoziation, in Afrika zu sein, das wir immerhin noch einen Tag zuvor in Form Marokkos am Horizont gesehen hatten. Mit “Toto” aus dem Lautsprecher genossen wir unser Abendessen im Cockpit. Die Orcas waren wohl immer noch im bekannten Hotspot um Barbate herum unterwegs und so gestaltete sich unsere Weiterfahrt etwas entspannter. Wir blieben vorsichtshalber küstennah, denn Orcas laufen ja immerhin auch bis zu 30kn und könnten uns somit spielend einholen, aber dafür gab es bislang keinerlei Anhalt und so konnten wir uns langsam in Sicherheit wiegen. Nach einem weiteren Zwischenstopp in Punta Umbria, unserem ersten An- und Ablegemanöver in der Gezeitenströmung, überquerten wir die Grenze zu Portugal und segelten mit wiederholten Regen- und Gewitterschauern bis zur Lagune von Faro.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die östliche Einfahrt misslang, da wir auf eine der häufig ihre Position ändernden Sankbänke aufliefen und dann lieber keinen weiteren Versuch wagen wollten. Nach 5sm Umweg erreichten wir die Haupteinfahrt und bemerkten, dass wir den Gezeiten bei der Törnplanung offenbar noch zu wenig Beachtung geschenkt hatten, denn wir erreichten sie inmitten des Ebbstroms, der wie ein Wildwasserfluss aus der Öffnung zwischen den beiden Molenköpfen herausschoss. Nach 10 Stunden auf See hatten wir jedoch auch keine Lust, drei weitere Stunden draußen herumzudümpeln, bis der Strom kenterte, und so versuchten wir unser Glück. Es standen keinerlei brechende Seen und so wäre das schlimmste Los, von der Strömung wieder hinaus aufs Meer gespült zu werden. Mit Gashebel auf dem Tisch steuerten wir die wie wild in den Stromschnellen rollende Moana durch die Einfahrt. In den Wellentälern standen wir jeweils kurzzeitig auf der Stelle, aber im Zeitlupentempo arbeiteten wir uns bergauf in die Lagune. Sobald das Gewässer sich hinter den Molen verbreiterte, ließ auch der Strom nach und wir schafften es mit langsamer, aber deutlicher Vorwärtsfahrt bis zum Ankerplatz vor der Insel Culatra. Geschafft! Am nächsten Tag setzten wir mit dem Beiboot über und spazierten über die wunderschöne Insel. Es war ein bisschen wie auf Langeoog: autofrei, ausgedehnte Dünenlandschaften mit dem typischen Geruch von Dünengras, ein langer Sandstrand und ein paar Fischer im Hafen. Die Häuser mit ihren bunten Kacheln und mannigfaltigen Blumen erinnerten uns jedoch schnell daran, in Portugal zu sein. Wir hoben den Anker und segelten mit einer Übernachtung im Hafen von Albufeira weiter in die hübsche Stadt Lagos.

 

Unterwegs ankerten wir für einen kurzen Stopp vor der berühmten Höhle von Benagil und besichtigten sie mit dem Beiboot. Beeindruckend war sie sehr: eine riesige Felskuppel mit zwei nur zum Meer offenen Eingangsbögen, hoch oben im Höhendach ein großes Loch, durch das das Sonnenlicht einfiel und der Boden bestand aus feinstem Sand, quasi ein unterirdischer Sandstrand. Dass die Höhle von vielen Touristen besucht wird, wussten wir und waren extra schon in den Morgenstunden angereist, aber wie schlimm es tatsächlich war, hatten wir kaum zu glauben gewagt: Auf der ansonsten spiegelglatten See hatte sich eine durch im 30-Sekunden-Takt an den Klippen vorbeirasenden hochmotorisierten Ausflugsbooten eine nicht aufhörende steile Kreuzsee gebildet, durch die sich hunderte Sit-on-top-Kajaks kämpften, organisiert in 10-20 Mann starken Divisionen, die wiederum von einem motorisierten Boot begleitet wurden. Technobässe hallten durch die Luft und wurden untermalt vom Kreischen blasser (Hinweg) bis krebsroter (Rückweg) britischer Touristinnen, die mit RIBs über die Wellen knallten. Kleinere Ausflugsboote fuhren in die Höhle hinein und erbrachen im Minutentakt Scharen von Touristen über Landerampen auf den Sandstrand. Ein D-Day in klein. Und da wundern wir Menschen uns noch, dass Orcas unsere Boote angreifen. Verständlich waren die Besucherströme aber dennoch, denn der Ort war wahrlich einmalig. Eine Beschränkung der Höhleneinfahrt auf ausschließlich Schwimmer und muskelkraftbetriebene Boote würde dem Ort jedoch durchaus nützen.


Lagos war sehr schön und der Hafen perfekt gelegen: Sandstrand auf der einen Seite, Bahnhof und Busbahnhof nur wenige Gehminuten entfernt und die malerischen und belebten Fußgängerzonen der Altstadt ließen sich von der Marina aus über eine klappbare Fußgängerbrücke aus schnell erreichen. Inken verließ uns leider wieder in Richtung Schweiz und auch Fredi und ich reisten für etwas über eine Woche nach Hause: Fredi zum Geburtstag ihrer Tante, ich zum Arbeiten, denn im Geldbeutel herrschte mal wieder Niedrigwasser.