Während ich in Deutschland noch ein paar Notarztdienste schrubbte, war Fredi bereits wieder mit ihrem Vater Andreas zum Boot gereist. In drei Arbeitstagen arbeiteten sie tagein, tagaus am Boot, sodass wir zum Zeitpunkt meiner Rückkehr neben vielen reparierten Dingen unter anderem neue Obstnetze und eine neue Navigationsleuchte hatten.

Meine Mutter Sabine kam wenige Stunden vor mir in Lagos an und zu viert wollten wir an den folgenden Tagen nach Lissabon segeln. In der Tat sollte es für die gesamte kommende Woche ein Pause im dort sonst üblichen starken Nordwind geben und die wollten wir nutzen, um möglichst viel Strecke gen Norden zu machen. Denn wenn der Wind wieder einsetzte, würde es bedeuten, gegen Strom, Wind und Atlantikwelle aufzukreuzen und das macht nicht nur keinen Spaß, sondern ist auch nicht effizient möglich. So nahmen wir lieber in Kauf, nicht so viel von Portugals Westküste zu sehen. Unsere Gesamtzeit auf dem Boot war schließlich konstant und auch weiter im Norden würde es noch tolle Gegenden zu entdecken geben. Der erste lange Schlag führte uns westwärts an der Algarve entlang und ums Cabo Sao Vicente herum, wo nicht nur plötzlich starker Wind aufkam, sondern sich von hinten ein Orca näherte. Normalerweise ein Grund zur Freude und in diesem Seegebiet waren auch lange keine Angriffe mehr gemeldet worden, aber Orcas sind schnell und man weiß ja nie. Daher schalteten wir lieber den Motor ein, legten den Hebel auf den Tisch und rasten mit Mopsgeschwindigkeit vor die Steilküste in flacheres Wasser. Tatsächlich folgte uns der Orca nicht, vielleicht war er auch nie an uns interessiert gewesen, man weiß es natürlich nicht genau. Aber einer Begegnung aus dem Weg zu gehen, erschien uns alle Male sicherer. Wir segelten noch bis Sines, wo wir nachts in die Marina einliefen. Dort schmiss man uns direkt wieder hinaus, die Marina sei geschlossen, aus Sicherheitsgründen. Äußerst seltsam, so mitten in der Saison, zumal andere Boote dort am Steg lagen. Aber es war absolut keine Verhandlung möglich und so ankerten wir im Vorhafen. Ohne einen Fuß an Land zu setzen, starteten wir gleich am nächsten Morgen in Richtung Lissabon. Der Wind hatte auf Südwest gedreht und produzierte einen zunehmenden Seegang, der bei der Einfahrt in die Flussmündung des Tejo unangenehm steil wurde. Wider Erwarten arbeitete sich die Dünung den Fluss hinauf bis in die Innenstadt und der erste Hafen, in dem wir reserviert hatten, war nicht anlaufbar, da eine ernstzunehmende See im Hafenbecken stand, die ein sicheres Anlegen unmöglich machte. Ganz abgesehen davon, dass selbst, wenn wir es an einen Liegeplatz geschafft hätten, an Schlaf nicht zu denken gewesen wäre. In der größeren und besser geschützten Marina Alcantara bekamen wir glücklicherweise noch einen Liegeplatz und lagen damit in fußläufigem Abstand vom Stadtzentrum. Geschafft! In nur zwei Tagen von Lagos bis Lissabon. Am nächsten Tag machten wir Pause und guckten uns die Stadt an, fuhren mit der histerischen Straßenbahn und kehrten in einem erstklassigen Restaurant ein.

Am nächsten Morgen flog Andreas leider wieder nach Hause, aber Fredi, Mutti und ich liefen aus und wollten es bis Nazaré schaffen. An der Flussmündung des Tejo erwartete uns mit dem gegen die Atlantikdünung laufenden restlichen Ebbstrom eine bösartige steile See, wie wir sie auf dem gesamten Törn nur ein oder höchstens zwei mal erlebt hatten. Bis zu drei Meter hoch türmten sich die Wellenberge vor uns auf und mehrmals knallte das gesamte Schiff unbarmherzig ins folgende Wellental. Immerhin wurde das Vorschiff dadurch gründlich gespült und die neue Navigationsleuchte einem echten Härtetest unterzogen. Eine lange halbe Stunde dauerte der “Spaß”, bis sich die See jenseits der Mündung beruhigte und wir durch gewöhnliche 1,5m Atlantikdünung tuckerten. Teils unter Motor, teils unter Segel legten wir die lange, küstenparallele Strecke nach Nazaré zurück, wo wir kurz vor Mitternacht einliefen. Der noch relativ ursprüngliche Fischerort ist durch seine teils deutlich über 20m hohen Monsterwellen berühmt, die im Winter Big Wave-Surfer aus der ganzen Welt anziehen. Nicht jedoch heute, glücklicherweise. Meine Mutter verließ uns hier und fuhr mit dem Bus nach Porto, wir verfolgten ihren Bus mit dem Schiff. Da der Schlag 90sm lang war, trafen wir jedoch erst nachts im vorgelagerten Hafen Leixoes ein, als sie nicht nur in der Stadt angekommen oder zum Flughafen gefahren war, auch nicht, als sie mit in Hahn aus dem Flugzeug ausgestiegen war und auch nicht, als sie nach einer weiteren knapp zweistündigen Busfahrt Mainz erreicht hatte, sondern erst, als sie schon längst zu Hause im Bett lag. Da merkten wir mal wieder richtig, wie langsam die Fortbewegung per Segelboot nach modernen Maßstäben eigentlich ist. Aber eben auch ganz wunderbar, so langsam zu reisen und den Fortschritt der Reise von Wind, Wetter und Meer bestimmen zu lassen.