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Segeln und Klettern um Kalymnos

In einem „fliegenden Wechsel“ auf Kos kam Fredi wieder zurück an Bord und auch Inken und Nikola stiegen zu, um mit uns eine Woche Segeln und Klettern um Kalymnos zu genießen. Am ersten Tag kreuzten wir uns gegen fast perfekten Segelwind (abgesehen von der Richtung…) nach Palionisos auf, eine wunderschöne fjordartige Bucht im Nordosten Kalymnos‘ mit schönen Kletterwänden hoch über der Bucht. Auch Nikolas war da, ein älterer griechischer Tavernenbesitzer, der mit seinem Ruderkahn regelmäßig die dort im Bojenfeld liegenden Segelyachten abklappert und die Crews anquatscht. Sieben Sprachen beherrscht er nach eigener Angabe, und zumindest sein Deutsch ist ganz passabel. Im Gegenzug bleibt anscheinend wenig Speicherplatz für das visuelle Gedächtnis übrig und so werden alle jeden Tag aufs Neue nach ihren Namen gefragt und man hört sich die gleichen Geschichten mehrmals an. Ob man gerade erst vor einer Woche dort lag oder mehrere Tage am Stück vor Palionisos liegt, spielt dabei kaum eine Rolle. Zwar ist Nikolas sehr charmant und bringt den Damen an Bord gelegentlich sogar Schnittblumen aus seinem Garten mit, auf Dauer ist es aber ganz schön anstrengend. Als Kalymnos-„Wiederholungstäter“ weiß ich inzwischen ziemlich viel über Nikolas, unter anderem, dass er selbst früher mehrere Kletterrouten erschlossen hat, früher bis zum Schwierigkeitsgrad 6c kletterte, dass er später aber Rückenprobleme bekam, sich operieren ließ, aber trotzdem noch Rückenprobleme hat. Und vieles mehr, beispielsweise in welchen deutschen Städten er schon war und wo seine Kinder wohnen. In seiner Taverne erlebt man noch das ursprüngliche Griechenland: Ein paar wenige Tische unter einem begrünten Vordach in einem bunt blühenden Garten, unzählige Katzen streichen um die Tische und frische Kräuter wachsen fast mannshoch direkt hinter den Tischen. Eine Speisekarte gibt es nicht, stattdessen berichtet Nikolas, welche zwei bis drei Gerichte am aktuellen Tag frisch im Kochtopf vor sich hin köcheln und welche kleinen Gerichte darüber hinaus spontan zubereitbar wären. Über letzteren Punkt gibt es dann jeweils hitzige Diskussionen mit seiner in der Küche stehenden Frau, die die Möglichkeiten offenbar etwas anders beurteilt (der Inhalt des Streitgesprächs erschließt sich auch ohne Griechischkenntnisse recht gut aus dem Kontext). Während der Wartezeit verteilt er seine alten Familien-Fotoalben, wobei es die Entstehungsgeschichten zu den Fotos gratis dazu gibt.

Diesmal entschieden wir uns jedoch gegen eine Einkehr bei Nikolas und kochten selbst an Bord. Im weiteren Verlauf der Woche umrundeten wir die Insel gegen den Uhrzeigersinn und besuchten die Klettergebiete The Beach, Dolphin Bay, Arginonta Valley und Vlychada. Außerdem arbeiteten wir mit der Hilfe der beiden und mit fernmündlicher Beratung durch Julius (danke!) ein bisschen am Boot, „reparierten“ den Solarladeregler (am Ende war es nur ein loser Kontakt) und Fredi installierte die neuen Hupen.

Die Woche mit den beiden war sehr schön und wir waren traurig, als sie am Ende der Woche in Pothia von Bord gingen und in die Fähre nach Kos stiegen. Für Fredi und mich war erstmal wieder Arbeiten angesagt, wofür wir drei Tage im dortigen Hafen blieben. So gut der Hafen an sich auch geschützt war, so ärgerlich war es, dass die Schnellfähren mit hohen Geschwindigkeiten ein- und ausliefen und dabei ordentliche Wellen generierten. Und so wurde uns das Pech zuteil, bei einem dieser Ereignisse so durchgeschaukelt zu werden, dass wir im Wellental mit dem Ruderblatt mit einem spürbaren Stoß auf einen (ausgerechnet nur unter unserem Schiff befindlichen) Betonklotz aufsetzten. Beim Schnorcheln stellte sich heraus, dass das Ruderblatt zwar keinen ernstzunehmenden Schaden erlitten hatte, dennoch waren die obersten waren abgeplatzt und so würde das Boot trotzdem in näherer Zukunft zur Reparatur aus dem Wasser müssen. Denn sonst liefen wir Gefahr, dass auf Dauer Wasser ins Ruderblatt eindringen und es zum Aufplatzen bringen könnte. Und dann bräuchten wir schon wieder ein neues und mehrere neue Ruderblätter pro Jahr erschienen uns dann doch zu dekadent. Nach einer weiteren Kalymnos-Umrundung zu zweit inklusive Klettern und einem kurzen Stopp in der Marina Leros zum Wäsche waschen, Ersatzteile kaufen und der bis jetzt nesten Pizza Griechenlands ging es zurück nach Kos. Hier kehrte ich dem Boot vorübergehend den Rücken zu und reiste für eine knappe Woche zum 10-jährigen Examenstreffen (ich werde alt…) und für ein paar Notarztdienste nach Deutschland, während Fredi fleißig am Boot arbeitete und neben vielen anderen Dingen auch ein Dieselleck behob und sogar den Autopiloten und zusammen mit Andreas den Dieselherd zum Laufen brachte.

jedes Schild hat seine Geschichte…

Mit Kindern durch den Dodekanes

Der Meltemi schlug wieder mit voller Härte zu. Gegen richtig miese Bedingungen, viel Wind und Welle genau von vorn und mal wieder viel zu unruhige Nächte kämpften wir uns nach Samos hinauf. Auf Agathonisi saßen wir zwei Tage fest, nachdem wir beim Versuch der Weiterfahrt kapitulieren mussten. Gegen Starkwind und die hohe steile See schlug unser Bug jeweils so hart auf die Wellen, dass das Boot bis zum Stillstand abgebremst wurde. Nachdem wir in knapp zwei Stunden nicht einmal drei Seemeilen an Höhe gewonnen hatten, wendeten wir das Boot entkräftet und schossen in kurzer Zeit in den schützenden Hafen zurück. Nachdem wir es nach Besserung der Bedingungen endlich bis Samos geschafft hatten, war ich regelrecht neidisch, als Fredi ins Flugzeug steigen und für eine Woche „Landurlaub“ zu ihrer Familie fliegen durfte. Warum wir überhaupt nach Samos gesegelt waren? Weil hier Philip und Ellen mit ihren drei Kindern zusteigen und eine Woche mit mir segeln würden, worauf ich mich auch schon sehr freute. Auch wenn ich zu dem Zeitpunkt auch erst einmal ein paar Tage Urlaub vom Urlaub hätte gebrauchen können.

 

Immerhin hatte der Wind nicht gedreht und so schob uns der Meltemi mit schneller Fahrt südwärts. Nach wenigen Stunden erreichten wir unseren ersten Zwischenstopp, den mir bereits wohlbekanntem Hafen von Agathonisi. Hier blieben wir den kompletten nächsten Tag, denn der Meltemi frischte auf 7-8 Bft auf. Keine Bedingungen, denen sich der durchschnittliche Fahrtensegler gern aussetzt, geschweige denn mit drei Kindern an Bord. Aber Agathonisi war immerhin ein süßes Inselchen mit einer Badebucht gleich neben dem Hafenort, Katzen und Hunden überall und die Kinder schafften es, die große im Prinzip ungenutzte Betonfläche des Hafens als großen Spielplatz zu nutzen. Es wurde gerannt und geklettert, was das Zeug hält.

 

 

 

 

 

Nachdem der Wind am kommenden Morgen etwas abgeflaut hatte, verließen wir den schützenden Hafen und setzten Kurs auf Arki. Wind und Welle waren immer noch ordentlich und so kamen wir zügig voran. Jakob hatte ein hervorragendes intuitives Verständnis für die Physik des Segelns und erlernte schnell das Steuern. Nachdem er nach einiger Zeit das Boot wie ein Autopilot auf konstantem Kurs zu halten schaffte, übte er sich darin, den Bug genau so in die Wellen zu steuern, dass möglichst viel Wasser über Deck spritzte und die Crew durchnässte. Auch Jona und Henri übten sich gelegentlich als Steuermann, hatten aber den entscheidenden biologischen Nachteil, auf Grund ihrer Größe nicht über die Bootsaufbauten hinweg nach vorn schauen zu können. Auch die Kraft reichte manchmal noch nicht aus, schließlich konnten die beiden mit maximal gestreckten Armen geradeso das Rad umfassen. Bei ruhigen Bedingungen machten sie das aber auch schon sehr gut und wenn sie immer brav ihren Spinat essen und das nächste Mal dabei sind, werden sie bestimmt auch steuern wie die Weltmeister.

Arki erlebten wir als traumhaftes verschlafenes Nest. Die Pier bot Raum für ein paar wenige Segelyachten und war gleichzeitig der Mittelpunkt des Dorfs. Von blühenden Bäumen und Blumen gesäumt lagen ein Café und eine Taverne direkt den Booten, dahinter folgten nur ein paar wenige Häuser und kurioserweise ein altes Wiener Feuerwehrauto (wie und warum auch immer es auf das winzige Eiland gekommen war), noch weiter den Hügel hinauf gab es nur noch Ziegen und oben auf dem Hügel eine Kapelle, zu der wir spazierten und von der aus wir eine tolle Aussicht hatten, zurück nach Samos und Agathonisi, hinüber in die Türkei und auf der anderen Seite zu unseren nächsten Zielen Patmos und Lipsi. Am Horizont ließen sich sogar Fournoi, Leros und Kalymnos ausmachen.


Mit der netten jüngeren Crew der neben uns liegenden Yacht kamen wir schnell ins Gespräch und lustigerweise war unter anderem ein Berliner Feuerwehrmann an Bord, der natürlich sofort ein Fotos unseres Berliner Feuerwehr-Rettungsrings machte. Den Rest des Tages nutzten wir zum Baden, SUPen und für einen Besuch des kleinen Cafés. Bei Wärme und strahlendem Sonnenschein kam es uns schon seltsam vor, dass es kein Eis mehr gab, da die Saison jetzt vorbei sei.

Weiter ging es nach Patmos! Die nette Hafenmeisterin empfing uns mit dem Fahrrad und fragte, wie lange wir bleiben würden. Etwa zwei Stunden, sagten wir (das ist dann meist gratis). Eigentlich müsse man bereits ab einer Stunde bezahlen, sagte sie, aber da ihre Pause jetzt schon begonnen hätte und sie erst um vier zurückkommen würde, gäbe es leider niemanden, der Geld einsammeln könnte und so wäre es dann wohl doch gratis. Wir freuten uns und wanderten hinauf in die Chora, nach der Halbinsel Athos das zweitwichtigste religiöse Zentrum Griechenlands. Wir waren zwar eher für die Aussicht und die niedlichen Gässchen des Ortes dort, wurden aber zwangsläufig auch mit Religion konfrontiert, denn zahlreiche Stände verkauften Heiligenbilder, gefälschte Mariengebeine und alles mögliche andere religiöse Zubehör. Und spätestens bei folgenden Figuren wurde klar, dass die Griechisch-Orthodoxe Kirche unserer Katholischen Kirche in nichts nachsteht:

Unser nachmittäglicher Segelschlag führte uns zu einer großen Ankerbucht auf der Südseite der Nachbarinsel Lipsi, denn zum ersten Mal in dieser Woche waren die Bedingungen ruhig genug, um frei ankern zu können und trotzdem eine Chance auf Schlaf zu haben. In der Abenddämmerung drehten die Kinder noch ein paar Runden mit dem Beiboot und als es dunkel war, gab es neben einem famosen Sternenhimmel sogar Leuchtalgen zu sehen. Am nächsten Morgen fuhren wir nur eine Seemeile weiter zu einer unbewohnten vorgelagerten Felsinsel und Henri und Jona hatten einen tierischen Spaß dabei, sich für die Strecke im Beiboot hinterherziehen zu lassen. Die Insel bot mehrere Besonderheiten: Erstens war sie unbewohnt und Jakob hatte schon die ganze Woche den Wunsch geäußert, eine unbewohnte Insel zu erforschen. Zweitens befand sich auf der Insel ein runder Meerwasserpool, der durch einen unterirdischen Tunnel mit dem Meer verbunden war, durch den man von der Seeseite aus hindurchtauchen konnte. Und drittens hatte die steile Felsküste ein Labyrinth aus Höhlen und natürlichen Felstunneln geschaffen, die man mit dem Beiboot oder schnorchelnd entdecken konnte. Beim Schnorcheln konnte man neben spektakulären Unterwasser-Felslandschaften auch eine Vielzahl großer bunter Fische entdecken. Insgesamt also ein richtig spannender Ort und in der Nebensaison hatten wir ihn ganz für uns allein.

 

 

 

 

 

 

Den Rest des Tages nutzten wir, um östlich an Leros vorbeizusegeln und letztendlich die Bucht Emporios auf Kalymnos zu erreichen, wo wir zur Feier des Tages in der Taverne von Captain Kostas zu Abend aßen.

Am nächsten Tag mussten die Jungs mal wieder durchbewegt werden, schließlich waren wir zuvor fast einen ganzen Tag nur auf See. Und so wanderten wir zum Klettersektor oberhalb Emporions, wo wir nicht nur von einer tollen Aussicht, sondern auch spannender Kraxelei belohnt wurden. Philip brauchte noch mehr Bewegung und rannte nach Masouri, während Ellen, die Kinder und ich mit dem Boot dorthin fuhren und ihn am Fährsteg wieder einsammelten. Weiter ging es nach Nera, einer kleinen Insel südlich von Kalymnos, wo wir uns in der einzigen kleinen Bucht mit Buganker und mehreren Leinen zwischen den Ufern verspannten. Die Fallböen waren sehr stark und erfassten Moana von verschiedenen Seiten, sodass zumindest für mich nur wenig Schlaf blieb. Dennoch war der Ort wunderschön.

Der letzte Tag der Woche war gekommen und nachdem wir dem Windschatten der Insel entkommen waren, setzten wir die Segel und Jakob steuerte uns routiniert zum Hafen von Mastichari. Hier würden die fünf das Boot verlassen und ich es für die nächste Crew, die schon am Folgetag kommen würde, vorbereiten. Denn die Marina von Kos hatte keinen einzigen freien Platz, sagte man mir am Telefon, und Mastichari lag zwar etwas ungünstiger, bot aber auch guten Schutz. So weit die Theorie. Denn nachdem das Segel geborgen und alles für das Hafenmanöver vorbereitet war, die Fender hingen, die Festmacherleinen angeschlagen, der Anker klar zum Fallen war und wir die Hafenmole passiert hatten, rief ein Mitarbeiter der dort liegenden Fähre uns unfreundlich zu, dass der Hafen nicht für uns geeignet wäre, „the water is deep“. Wir sollten lieber zur gegenüberliegenden Insel Pserimos fahren. Gewiss meinte er „zu flach“, denn das sandige Becken hatte hinter dem Fähranleger aus meiner Erfahrung vor ein paar Jahren tatsächlich nur um die 2m Tiefe. Das war natürlich keine Option, denn die Crew musste ja zum Flughafen Kos und die nächste Crew würde am Flughafen Kos ankommen. Und da ich schließlich schon einmal mit einem deutlich größeren und tieferen Charterboot im Hafen von Mastichari gewesen war und auch das funktioniert hatte, rief ich ihm zu, dass das passt und er sich um seinen eigenen Kram kümmern solle. Wenn in der Wortwahl auch nicht ganz so stark. Peinlicherweise machte es keine zehn Meter weiter „SSSSssssst“ und wir steckten im Sand fest. Fluchend versuchte ich, das Schiff gegen den auflandigen Wind wieder frei zu bekommen. Nach ein paar Versuchen gelang es und wir verließen den Hafen unter etwa 50 Augenpaaren aller Fährpassagiere wieder. Der Stadthafen von Kos war nun noch die einzige Option und so setzten wir erneut Segel und die Fünf bekamen die 17 Seemeilen nach Kos Stadt gratis dazu. Der Hafen war zwar relativ gut gefüllt, aber eine kleine Lücke gab es für uns glücklicherweise und so zwängten wir uns hinein. Eine schöne Segelwoche ging zu Ende.

Von der Peloponnes in den Dodekanes

In Nafplion kamen mein Vater und seine Freunde Christian und Jan an Bord. Mein Vater fuhr das erste Ablegemanöver und wir setzten Segel. Mit moderatem Wind, aber gegen eine kurze, spitze Welle kreuzten wir uns den Argolischen Golf hinauf bis zur Bucht Drepanon, wo der Anker für die Nacht fiel. Die neue Genua war riesengroß, sehr schön und lieferte eine sehr gute Performance, wir waren erst einmal sehr zufrieden. Am nächsten Vormittag blieb der Nordwind aus und so fuhren wir nur eine kürzere Strecke unter Motor in die Ankerbucht auf der Nordseite der Insel Spetses. Hier schwammen wir und erkundeten auf einem kleinen Spaziergang die umliegenden Strände, bevor es nach einem kurzen Segelschlag in die moderne Marina Porto Heli zum Übernachten ging. Im kleine „marine store“ besorgte Fredi einen neuen Kugelfender und Ruckdämpfer für unsere Festmacherleinen. Am Folgetag frischte der Wind zunehmend auf und während wir mit bahnbrechenden Geschwindigkeiten zwischen Hydra und Peloponnes ostwärts segelten, mussten wir unser Vollzeug immer weiter reffen, bis wir letztendlich nur noch mit kleiner Segelfläche unterwegs waren. Der Anker fiel am östlichsten Zipfel der Peloponnes in einer fast unbewohnten Bucht. Die Nacht war sternenklar und am Horizont sah man bereits das helle Leuchten der Metropole Athen. Leider arbeitete sich die Dünung um mehrere Ecken herum in die Bucht und wir schliefen nur wenige Stunden. Außerdem hatten wir uns inzwischen fast alle an Jans „Heuschnupfen“, der in Wirklichkeit wohl eher eine schwere Erkältung oder COVID-19 gewesen sein dürfte, angesteckt.

 

Beste Voraussetzungen für die lange Überfahrt nach Serifos! Früh morgens starteten wir und motorten durch die unangenehme Welle in Richtung Kykladen. Bereits nach wenigen Stunden war mein durch den Heuschnupfen vorgeschädigter Vater der Seekrankheit zum Opfer gefallen (Details erspare ich euch allen), Fredi und ich prämedizierten uns mit Vomex, Jan konnte der beginnenden Übelkeit durch ausdauerndes Rudergehen ein Schnippchen schlagen und Christian schien einfach immun gegen alles zu sein. Mit zunehmendem Wind konnten wir am Vormittag endlich die Segel setzen und Moana glitt deutlich ruhiger durch die sich weiter aufbauende See. Wir waren schnell unterwegs und so machte das Segeln richtig Spaß. Wind und Welle wurden immer stärker und die höchsten Wellenberge kurz vor Serifos knackten die 2m-Marke. Alles, was nicht niet- und nagelfest war flog durch die Gegend und der Salon sah gegen Ende der Überfahrt aus als hätte eine Bombe eingeschlagen. Dafür waren wir schnell, sehr schnell, und bereits am späten Nachmittag legten wir im Hafen von Livadi an. 8,5h statt der berechneten 11h, damit konnten wir durchaus zufrieden sein! Serifos ist eine meiner Lieblingskykladen: Die tief eingeschnittene Bucht bietet perfekten Schutz und das Wasser ist selbst im Hafen so klar, dass man den Eindruck hat, in ein Aquarium zu blicken und mit dem Schiff regelrecht 7m über dem steinigen Grund zu schweben. Hoch über dem Hafen thront der alte Hauptort der Insel, die Chora, auf einem Berggipfel und aus der Entfernung wirken die weißen Häuser und Gassen wie Zuckerguss auf einem Kuchen. Direkt neben dem Hafen säumt ein langer Strand die Bucht und die Tische und Stühle der Tavernen stehen auf dem Sand direkt am Ufer. Griechische Volksmusik kommt aus den Lautsprechern, alte Herren spielen Karten und trinken Ouzo und Katzen schleichen um die Tische herum, stets auf der Suche nach Gästen, die ihren Fischteller nicht aufessen. Griechenland aus dem Bilderbuch.
Am nächsten Tag blieben wir im Hafen, denn der „Heuschnupfen“ hatte mich stark erwischt und ich hing den ganzen Tag nur schlapp herum. Nach einer weiteren Nacht ging es allen besser und Fredi hatte Geburtstag! Traurigerweise gab es dank kaputten Backofens nur einen eingeschweißten Kuchen aus dem Inselladen, aber das würden wir noch nachholen. Der Wind hatte sich inzwischen komplett gelegt und die Welle hatte sich dankbarerweise auch stark reduziert. Unter Motor fuhren wir ein kurzes Stück zur Nachbarinsel Sifnos, wo wir in der malerischen fjordartigen Bucht ganz im Norden der Insel ankerten. Wir schwammen, fuhren SUP, wanderten zur Kapelle oberhalb des Dorfes, besuchten die alte Töpferwerkstatt und aßen in der Taverne am Ufer zu Abend. So wurde es für Fredi doch noch ein schöner Geburtstag.

 

 

 

 

 

 

Auch am nächsten Tag blieb der Wind aus und so mussten wir wieder einmal den Motor bemühen. Auf Ostkurs tuckerten wir nach Paros, wo Fredi ein hervorragendes Anlegemanöver hinlegte (ihr erstes mit Heck zur Pier und Muringleinen) und uns unsere Crew nach einem extrem leckeren Abendessen (vielen Dank an die Crew!) und einer letzten Nacht an Bord verließ.

 

Nach der kurzen Verschnaufpause ging am nächsten Tag der Meltemi wieder los und unter morgens voller Genua, später nur noch einem küchenhandtuchgroßem Stück Vorsegel durchsegelten wir die Passage zwischen Paros und Naxos südwärts. Die „Kleinen Kyladen“, eine Inselgruppe südlich von Naxos, sollte im Insellee von Naxos wohl etwas Schutz vor dem für die komplette kommende Woche angesagten Starkwind bieten und außerdem gab es auf der Insel Schinoussa wohl Kletterfelsen. Gute Gründe, ein paar Tage dort zu bleiben!

Wir ankerten in einer Bucht südlich der Chora und nach vielen Versuchen hatten wir es endlich geschafft, den Anker bombenfest einzugraben. Aber wenn das Windschutz sein sollte, wollten wir gar nicht erst wissen, wie es draußen aussah. Die Böen rissen am Schiff und die Welle arbeitete sich obendrein in die Bucht und obgleich es nur ein Bruchteil der Welle draußen war, war an Schlaf nicht zu denken. Noch etwas restkrank und erholungsbedürftig von der vorigen Woche mit viel Segelstrecke entschlossen wir uns, das Schiff zu verlassen und uns für wenig Geld ein kleines Apartment zu gönnen. Es war ein traumhafter Ort, die Anlage gesäumt von bunt blühenden Blumen, Bäumen und riesigen Rosmarinbüschen, das ganze gleich hinter dem Strand und inmitten des Nichts. Ringsherum waren nur ein paar spärlich bewachsene Weideflächen mit Ziegen und Kühen und über einen Schotterweg erreichte man in 15min bergauf die Chora auf dem Hügel. Von dort gab es einen weiteren Schotterweg in ein anderes kleines „Dorf“, falls man ein paar Häuser so nennen kann, eine befestigte Straße hinunter zum Hafen auf der anderen Seite und einen Schotterweg in die Bucht zwischen unserer Bucht und der Hafenbucht, wo ein Hotel und die Kletterfelsen lagen. Schinoussa lag wirklich noch abseits der ausgetretenen Touristenpfade und so trafen wir auf unseren Wegen immer wieder die gleichen Einheimischen und mit einigen grüßten wir uns nach ein paar Tagen wie mit alten Bekannten. Die Preise des Inselladens waren saftig (4€ für eine kleine 100g-Tüte Haribo und 8€ für ein Stück Talagani-Käse), sodass das Dinieren in der Taverne preislich ähnlich herauskam wie selbst zu kochen und so nutzten wir die Option gleich zwei mal. In einer der beiden gab es nicht einmal eine Speisekarte und der Kellner trug uns die sieben Optionen mündlich vor. Lecker war das Essen sehr und der Ausblick über die verschlafene Insel und das Meer in der Abenddämmerung famos. Als Kontrast sah man am Horizont die hell erleuchtete Touristenhochburg Santorini. Das Klettergebiet war, wer hätte es anders erwartet, wenig frequentiert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Klettern war ein schöner Kontrast zum langen Segeln und es tat gut, sich mal wieder richtig durchzubewegen. Wir waren die einzigen Kletterer auf der Insel und das Gebiet war so wenig begangen, dass wir uns auf dem Zustieg zu den Routen manchmal durch Gebüsche schlagen mussten und der Fels mancherorts leider unangenehm bröselig war. Aber ein paar sehr schöne Routen waren dabei und allein des Naturerlebnis im steilen Canyon mit Ausblick über das Meer war die Mühe wert.

 

Für Samstag war zum ersten Mal etwas weniger Wind und Welle angesagt und so nutzten wir den Tag, gemeinsam mit anderen Booten, für die lange Überfahrt in den Dodekanes mit Übernachtungsstopp auf der einsamen Insel Levitha. Sonntag Mittag erreichten wir bekanntes Territorium: Die Kletterinsel Kalymnos. Glücklich machten wir an einer Muringboje in Emporios fest und nutzten den Rest des Tages zum Klettern.

 

Festgesetzt durch die Polizei

Von Korfu aus führte unser Törn in Siebenmeilenschritten in Richtung Peloponnes, wegen der schon knapp gewordenen Zeit bis zum Eintreffen der ersten Gäste blieb leider nicht viel Raum für ausgedehntere Stopps unterwegs. Mit viel Wind aus der richtigen Richtung und unserem erneuerten Rigg kamen wir zügig und sicher und mit Freude am Segeln voran, aber die entsprechende Welle arbeitete sich bis nachts selbst in die meisten Häfen vor und so war leider nur selten an guten Schlaf zu denken. Wir gönnten uns einen Nachmittag vor Anker nördlich von Mytikas, um im dortigen Klettergebiet an ausgezeichnetem Kalkstein zu klettern. Mit Wind und Schatten waren die Temperaturen erträglich und es war ein gutes Gefühl, uns endlich einmal wieder zu bewegen. Ein weiteres Highlight auf unserem Weg war ein riesiges Schildkrötenpärchen im Hafen von Kyparissia, bestimmt 80-90cm lang waren die Tiere und damit die größten, die wir jemals gesehen hatten. Entspannt schwammen sie durch das Hafenbecken, tauchten hier und da auf und guckten uns mit großen Augen an. Nördlich von Pylos ankerten wir in der großen Navarinou-Bucht, hier hatte im 19. Jahrhundert eine große Seeschlacht stattgefunden und es gab multiple Holzschiff-Wracks, eins lag gut sichtbar am Strand angespült. Der Strand an sich war ohnehin großartig: Kilometerlang mit feinem Sand (eine Seltenheit für Griechenland) und dank der Abgelegenheit wenig besucht lud er zu ausgedehnten Spaziergängen ein. Das flach auslaufende Wasser glitzerte weiß-blau und erzeugte ein gewisses Karibik-Gefühl. Nicht, dass wir jemals dort waren, aber so ähnlich stellten wir es uns vor. Hinter dem Strand lag ein kleiner wanderbarer Berg mit der Ruine einer Festung auf dessen Gipfel, von der man eine tolle Aussicht die Steilküste hinunter und über das offene Meer und auf der anderen Seite auf die Navarinou-Bucht, den Sandstrand und Pylos am anderen Ende der Bucht hatte.

 

Auch hier galt es noch einiges an Reparaturen zu erledigen, Wäsche zu waschen, aufzuräumen und das Boot zu schrubben, denn am Dienstag kamen Christoph, Matthias und Henrik an Bord. Zu fünft wollten wir die Peloponnes südlich umrunden und die unterwegs liegenden Klettergebiete beklettern, um eine Woche später in Nafplion einzutreffen. Der verlässliche nachmittägliche Wind bescherte uns eine schnelle Überfahrt zur unbewohnten Insel Sapientza, wo wir den Anker fallen ließen und übernachteten. Mit einem der schönsten Sternenhimmel überhaupt, denn um uns herum war es bis auf das Leuchtfeuer am südlichen Inselzipfel stockfinster und so bewunderten wir die Milchstraße genau über uns. Am nächsten Tag wollten wir die lange Strecke um das zweite Peloponnes-Kap herum bis nach Porto Kagio zurücklegen und so starteten wir schon früh, wobei wir in der morgendlichen Flaute den Motor nutzten. Südlich des ersten Kaps ging die Motordrehzahl plötzlich in den Keller, normalisierte sich kurz wieder, aber keine Minute starb der Motor mit einem jämmerlichen Geräusch ab und ließ sich auf Gedeih und Verderb nicht wieder starten. Das Schiff stoppte auf, legte sich quer zur Welle und rollte in der Flaute unbarmherzig hin und her. Sofort hatten wir den Diesel im Verdacht. Der acht Jahre lang im Tank vor sich hin gegammelt habende Treibstoff war in Plataria von Leon und Herbert zwar abgepumpt und durch frisch gezapften Diesel ausgetauscht worden, aber ein Rest des flockigen Alt-Diesels war dennoch im Tank verblieben. Denn es gab leider keine Wartungsöffnung, durch die wir den Tank anständig hätten putzen können. In weiser Voraussicht hatten wir ein paar Kraftstofffilter als Reserve erworben und nun war offenbar der perfekte Moment gekommen, unseren ersten Filterwechsel zu versuchen. Dank Seegang kostete es einiges Fluchen und Kleckern, aber alles in allem gelang der Wechsel überraschend problemlos. Und tatsächlich, der alte Filter sah relativ zugesetzt aus. Optimistisch starteten wir den Motor erneut, vielmehr versuchten wir es, denn die Maschine wollte trotz einwandfreien Startergeräuschs weiterhin einfach nicht anspringen, schien aus irgendwelchen Gründen keinen Diesel zu bekommen. Mist. Unsere Dieselstandanzeige hatte noch nie funktioniert und zeigte immer voll an, darauf war kein Verlass. Wir gingen im Kopf also noch einmal die Motorstunden seit dem letzten Tankstopp durch. Vielleicht hatten die Manöver doch deutlich mehr Sprit benötigt als angenommen oder vielleicht stimmte der angegebene Verbrauch des Motors ohnehin nicht und lag deutlich höher? Und vielleicht waren wir beim letzten Tankstopp übers Ohr gehauen und der Tank war nicht voll befüllt worden? Welche Ursache auch immer führend war, unser Dieseltank schien jetzt peinlicherweise leer zu sein, das war die naheliegendste Lösung. Das Gute daran war immerhin, dass wir keinen Mechaniker und keine Ersatzteile benötigten, sondern nur eine Tankstelle. Und die gab es in Koroni, etwa fünf Seemeilen nördlich von uns. Bei weiterhin absoluter Flaute mussten wir jedoch erst einmal dorthin gelangen. Kurzerhand spannten wir das mit dem Elektroaußenborder bewaffnete Beiboot mit langen Leinen vor das Mutterschiff und versuchten, es zu schleppen. Das gelang in gewissem Umfang auch (wir schafften knappe zwei Knoten Fahrt), allerdings würde der Akku des Außenborders laut Anzeige nur 1h40min durchhalten, das reichte also nur für etwa drei Seemeilen, nicht die benötigten fünf. Während ich in der sengenden Hitze das Schiff in einem Anflug von Aktionismus trotzdem mit leisem Surren durch die Wellen in die richtige Richtung zog, versuchte Fredi, über Funk den Hafen und Yachten im Umkreis zu erreichen. Vielleicht würde uns ja jemand für einen Kasten Bier die verbleibende Strecke in den Hafen schleppen. Ein netter australischer Katamaran bot seine Hilfe an, er würde seinen Kurs entsprechend ändern und wäre dann in etwa 40 Minuten bei uns. Die Hafenpolizei antwortete ebenfalls, vergewisserte sich, dass keine bedrohliche Situation vorlag und erklärte, dass sie kein eigenes Boot hätten und höchstens einen einheimischen Bootseigner fragen könnten. Das wäre dann aber ein „private agreement“, wir müssten also um den Preis verhandeln. Nun, der Australier war sowieso schon unterwegs, also entschieden wir uns für ihn. Ein Touristendampfer fuhr vorbei und empfahl uns, doch unsere Segel zu nutzen. Auf diese Idee waren wir noch gar nicht gekommen, aber als einige Minuten später tatsächlich Wind einsetzte, folgten wir der Empfehlung und segelten gemütlich in Richtung Koroni. Plötzlich ertönte der Alarmton des Funkgeräts und kurz darauf folgte die Durchsage: „Pan Pan, Pan Pan, Pan Pan!“ Eine Dringlichkeitsmeldung, also jemand, der Hilfe brauchte, auch wenn vorerst keine akute Gefahr für Leib und Leben bestand. Auch wenn wir selbst gerade nicht in der Lage waren, jemandem sinnvoll Hilfe zu leisten, hörten wir dennoch gespannt zu. Und trauten unseren Ohren nicht, als die Stimme fortsetzte (übersetzt): „Hier ist Olympia Radio (der offizielle Seefunkdienst Griechenlands). Die deutsche Segelyacht Moana, ca. 4sm südlich von Koroni, ist außer Kontrolle und benötigt dringend Schlepphilfe. Die Telefonnummer lautet:…“ Und dann wurde Fredis Telefonnummer unter ihren lautstarken Protesten über Funk über das gesamte griechische Seegebiet hinweg verbreitet. Ein Blödsinn, wir hätten nie „Pan Pan“ gefunkt und unsere Lage war alles andere als bedrohlich. Daher funkte ich umgehend an alle Seefunkstellen zurück, dass wir aktuell keinerlei Hilfe benötigten und Olympia Radio das „Pan Pan“ mit sofortiger Wirkung aufheben möge. Antworten wollte mir niemand. Wohl aber Fredi, deren Handy kurz vor dem Hafen Koronis dreiundzwanzig verpasste Anrufe anzeigte, allesamt von der Hafenpolizei. Noch bevor wir uns angemessen über die Leute aufregen konnten, kam auch schon der vierundzwanzigste Anruf: Wir sollen uns nach geglücktem Ankermanöver bei der dortigen Dienststelle melden.

Dem leisteten wir brav Folge und erfuhren, dass unser Boot mit sofortiger Wirkung festgesetzt sei. Unsere Ausweise wurden einbehalten und wir dürften Koroni nicht verlassen. Denn schließlich sei unser Schiff offenbar nicht seetauglich, denn wir hätten ja „Pan Pan“ gerufen. Dass wir das nicht haben, bestritt er und es sei ohnehin egal, da sämtliches Hilfeersuchen an offizielle Stellen hierzulande als Dringlichkeitsmeldung gewertet würde. Der weitere Weg sei in jedem Fall der gleiche: Wir müssten uns an die deutsche Botschaft wenden, diese müsste ein Formular ausfüllen, dass einem staatlich autorisierten griechischen Bootsmechaniker die Erlaubnis erteilte, ein deutsches Boot zu betreten und zu inspizieren. Dann müssten wir einen solchen Mechaniker kontaktieren, einen Termin vereinbaren und dieser würde dann unser Boot inspizieren und ihm nach behobenem Problem (also Auffüllen des Dieseltanks) die Seetauglichkeit attestieren. Das ganze würde um die 500-1000€ kosten und sich mit etwas Glück schon im Laufe des Folgetags erledigen lassen. Vergeblich suchte ich den Raum nach der versteckten Kamera ab. Wir diskutierten noch eine ganze Weile, aber es war absolut nichts zu machen. Frustriert rief ich bei der deutschen Botschaft in Athen an. Die dortige Mitarbeiterin lachte sich schlapp, solch eine absurde Blüte griechischer Bürokratie habe sie auch noch nicht erlebt und wisse spontan auch nicht, was sie da machen könne oder müsse. Jetzt am späten Nachmittag seien aber schon alle zu Hause und sie hätte nur das Notfallhandy. Ich müsste mich am folgenden Morgen erneut melden, dann sei eine griechische Mitarbeiterin da, die sich damit vermutlich auskenne.

Die Crew zapfte derweil netterweise viel Diesel bei der Tankstelle am Stadtrand und trug ihn in Kanistern zum Boot. Wir begannen, den Tank zu füllen, aber nach etwa 50 Litern ging nichts mehr hinein. Der Tank fasste jedoch 135l und war ja schließlich leer gewesen, also musste ein weiteres Problem vorliegen, möglicherweise mit der Tankentlüftung? Funktionierte diese nicht, konnte auch kein weiterer Treibstoff hineingefüllt werden. Vielleicht war das auch schon beim letzten Tanken das Problem gewesen: Der Tank war vermutlich nie voll. Kein Wunder, dass uns unerwartet früh der Diesel ausgegangen war. Aber am Anfang in Plataria hatten sich durchaus problemlos 135l Diesel in den leergepumpten Tank füllen lassen. Ein Puzzleteil schien noch zu fehlen… Wie auch immer: 50l sollten erst einmal für eine Weile reichen. Wir entlüfteten die Dieselleitung und TADA!, die Maschine schnurrte wieder wie ein Kätzchen.

Am nächsten Morgen rief ich wieder die Botschaft an. Diesmal war die versprochene griechische Mitarbeiterin am Apparat. Diese fand die ganze Situation überhaupt nicht absurd, es handle sich vielmehr um eine sinnvolle Regelung, die unsere Sicherheit gewähren solle. Dass man als Segler ein intrinsisches Interesse daran hat, auf einem seetauglichen Boot unterwegs zu sein und solche Regelungen vielmehr fördern, dass Leute sich eher gefährden, weil sie aus Angst vor Sanktionen auch im Notfall eher zu spät um Hilfe ersuchen, überzeugte sie wenig. Griechische Regeln seien durchdacht und alles in allem der Perfektion ziemlich nah. Sie bot jedoch an, der zuständigen Polizeibehörde ein Dokument zuzusenden, auf dem ich unterschreiben könne, die Verantwortung für mein Boot zu übernehmen, in den meisten Fällen dürfte man dann weitersegeln. Immerhin. Und tatsächlich, nachdem das Dokument in Koroni angekommen war, die Polizisten es zu deren Oberabteilung nach Kalamata schickten, die es wieder zurückschickten, ich es unterschrieb, die Polizisten mir ein Formular ausstellten, dass ihre zuvorige Festsetzungsanordnung mit sofortiger Wirkung aufgehoben sei, ich auch dieses unterschrieb und sie sich für meine Kooperation bedankten (was wäre auch die Alternative gewesen, der überschüssige Diesel war zu wenig explosiv, um die Polizeiwache damit in die Luft zu jagen), waren wir offiziell frei und durften von dannen segeln.

Mit wieder richtig viel Wind umrundeten wir das zweite Peloponnes-Kap und warfen bereits im Dunklen den Anker in der Bucht von Porto Kagio. Und am nächsten Tag ging es direkt weiter: Ein etwas kürzerer Schlag führte uns, wieder mit viel Wind und Welle, an Elafonisos vorbei bis in den kleinen Hafen von Prophitis Ilias, wo neben uns maximal eine weitere Yacht Platz gehabt hätte. Allein die Hafeneinfahrt zwischen Mole und Felsen war so schmal, dass man den Ouzo hier definitiv erst nach dem Festmachen trinken sollte. Aber ein wahrlich toller Ort! Ein paar Fischerboote, viele Katzen, ein paar Häuschen mit in allen Farben blühenden Blumen und im Hintergrund der karge Berg Zobolo, über das der starke Wind die Wolken fegte. Und direkt auf der anderen Seite, keine zehn Meter von uns entfernt, donnerte die Brandung an die Mole und die Gischt füllte die Luft mit Salz. Das Klettergebiet am Zobolo ließ sich in einer dreiviertel Stunde zu Fuß erreichen und so gingen Henrik und Matthias am nächsten Morgen klettern. Christoph brauchte eine Pause, Fredi hatte Schulterschmerzen und ich blieb aus Solidarität ebenfalls unten und wir widmeten uns, eigentlich wie immer, den Bootsarbeiten und einem Spaziergang. Christoph hatte netterweise den reparierten Kurscomputer des Autopiloten aus Deutschland für uns mitgebracht und den schlossen wir jetzt an. Leider funktionierte der Autopilot trotzdem weiterhin nicht, es war zum Mäuse melken.

Nachmittags stachen wir in See und umrundeten mit achterlichem Starkwind das berüchtigte Kap Maleas, das dritte Peloponnes-Kap. Die Fahrt war anstrengend, aber lief gut und an Verlusten hatten wir nur eine Schirmmütze und den Unterliekstrecker zu beklagen. Glücklicherweise hatten wir noch eine Ersatzschot dabei und so ersetzten wir das Tau noch in Fahrt. Über Monemvasia, Leonidio und Bibari ging es nach Nafplion und an den letzten zwei Tagen kamen wir endlich mal ein bisschen zum Klettern. Der alten Stadt Monemvasia statteten wir natürlich auch einen Besuch ab und sie beeindruckte uns sehr. In Nafplion verließen unsere Gäste uns und gaben uns mal wieder einer Mischung aus Bootsarbeiten und Freizeit hin. Auch ein schöner Klettertag war dabei. Wir schraubten das gesamte Tankentlüftungssystem auseinander und prüften alles auf Gängigkeit. Das hieß, ich blies in jede Menge stinkender Dieselschläuche und Überlauföffnungen und habe damit vermutlich mehrere Jahre Nichtrauchen kompensiert. Das Ergebnis war, dass alles problemlos funktionierte. Wir tankten erneut, aber auch diesmal ging nicht viel in den Tank. An der Entlüftung konnte es nicht liegen. Und so dämmerte es uns, dass es schlicht und ergreifend kein Problem mit dem Tank gab. Der Tank war nie leer gewesen und der Motor arbeitete vorbildlich sparsam. Warum war die Maschine also ausgefallen? Es wird in der Tat der verstopfte Filter gewesen sein und was wir danach mangels Erfahrung vergessen hatten, war das Entlüften der Leitung, das hatten wir schließlich erst nach dem Tanken erledigt. Eine Schraube und zehn Sekunden Pumpen hätte uns unglaublich viel Ärger erspart. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer und die Geschichte mit der Polizei können wir noch unseren Enkeln erzählen.

Und unsere neue Genua war endlich fertig! Mit dem Bus fuhr ich nach Athen, wo ich das gute Stück entgegennahm. Auf das Segeln waren wir schon sehr gespannt!

Mastektomie

Unser erster Schlag führte uns über Paxos weiter nach Süden in Richtung Lefkas, wo ein Techniker unseren defekten Autopiloten reparieren und ein Rigger nach vielen Jahren vor der großen Fahrt unser stehendes Gut prüfen sollte. Als „stehendes Gut“ werden im Prinzip alle Aufbauten zum Segeln, die kein Tauwerk sind, also im Wesentlichen der Mast und alle Drähte, die ihn stützen, bezeichnet. Bei Flaute fuhren wir größere Teile des Tages unter Motor nach Preveza, wo am Folgetag Fredis Schwester Bici und deren Freundin Tabea zusteigen wollten. Die Idee war, in der Bucht direkt hinter dem Flughafen zu ankern und die beiden mit dem Beiboot einzusammeln. Der Wind wehte nur schwach von hinten, die Sonne schien und für den verbleibenden Tag und die Nacht waren friedliche Bedingungen vorhergesagt, sodass wir das Boot für die zwei Seemeilen von der Stadt zum Flughafen nicht großartig seefest machten, die Genua (das Vorsegel) setzten und gemütlich in Richtung Flughafen dümpelten. Vorerst, denn nach wenigen Minuten Fahrt kamen plötzlich und unerwartet Schaumkronen auf uns zugerast und noch bevor wir das Segel auch nur ansatzweise bergen konnten, hatte uns ein Starkwindfeld fest im Griff. Das Schiff krängte, unten im Salon fielen Gegenstände durcheinander und Moana raste los. Normalerweise ein großer Segelspaß, aber mit unvorbereitetem Boot und unvorbereiteter Crew gefährlich. Fredi versuchte unten, alles festzuhalten, während Andreas und ich versuchten, die Genua wegzureffen. Ohne funktionierenden Autopiloten war jedoch einer am Steuer gebunden und beim anliegenden Winddruck misslang das Manöver. Mit zugeschaltetem Motor fuhr ich Moana in den Wind, der Segeldruck war weg, aber das Segel schlug im Starkwind wie wild und das alte Tuch riss sofort. Dafür gelang es nun, das Segel zu bergen, zumindest teilweise. Bevor noch größerer Schaden entstand, entschied ich mich, das Segel kurzerhand mit Hilfe der Winsch wegzureffen. Und das, obwohl ich es auf meinen Törns immer allen verbiete, denn wenn ein Widerstand da ist, sollte man die Ursache suchen und bekämpfen und nur wenn sicher ist, dass sich nichts verklemmt, darf man ausnahmsweise mal die Kurbel zu Hilfe nehmen. Mit einem nur kleinen Segelrest, der noch draußen war, aber wie wild schlug und da ich jederzeit weitere Risse befürchtete, griff ich zur verbotenen Kurbel. Es gelang mir, das Segel wegzureffen, aber ein sehr unschönes Geräusch ließ dabei nichts Gutes vermuten. Wir fuhren die paar Meter zur Ankerbucht zurück und ich inspizierte den Schaden. Das Vorstag, ein Drahtseil, das den Mast nach vorn stützt, war abgerissen. Der nächste große Rückschlag.

Nun gut, den Termin beim Rigger hatten wir ohnehin und da der Rest des stehenden Guts auch schon in die Jahre gekommen war, entschieden wir uns, gleich alles tauschen zu lassen, um zukünftig beruhigter segeln zu können. Das sei kein Problem, sagte man uns, wir sollen einfach zum Check-Termin erscheinen, da würde man alles vermessen und in der darauffolgenden Woche die Arbeiten erledigen. Gesagt, getan, wir ersetzten das gebrochene Vorstag behelfsmäßig durch ein Spinnakerfall und fuhren unter Motor (der inzwischen einwandfrei und zuverlässig funktionierte, man soll ja nicht nur meckern) nach Lefkas. Die Rigger kamen an Bord, begutachteten alles, sagten uns, dass wir für die Formalitäten ins Büro am anderen Ende der Marina kommen sollten und verabschiedeten sich mit „see you next week!“. Also marschierte ich sofort ins Büro, sonst gab es ohnehin nicht viel zu tun, und stand zehn Minuten später in einem angenehm klimatisierten Raum, überall Tauwerk, Segeltuch und anderes Bootszeug, und in der Mitte ein Schreibtisch mit einer netten Dame dahinter. Die den Auftrag so annehmen würde wie besprochen, allerdings mit der „klitzekleinen“ Änderung, dass sie die Arbeiten erst Ende August erledigen könnten. Ende August? Das war anders besprochen und wir wollten zum einen bald segeln und uns zum anderen auch nicht veräppeln lassen. Aber freundliches Bitten und gutes Zureden halfen genauso wenig wie Schimpfen und Drohen und so beschloss ich, Konkurrenzangebote aus der Region einzuholen. Im Prinzip überall das selbe: Man würde sich gern kümmern, aber da ganz Griechenland im August in eine Art Sommerschlaf falle, Betriebe stillstehen, Lieferanten nicht liefern und Arbeiter nicht arbeiten, könne man uns erst einen späteren Termin anbieten. Die einzige Ausnahme bildete ein großer Betrieb auf Korfu, dessen freundlicher Manager Errikos mir am Telefon zusagte, dass man gleich nächste Woche beginnen könne und vermutlich auch bis Ende der Woche fertig werde. Großartig! Wir packte unsere sieben Sachen zusammen und fuhren unter Motor das Wochenende hindurch wieder zurück Richtung Nordwesten nach Korfu. Bei jeder größeren Welle gestresst, ob der behelfmäßig befestigte Mast halten würde, denn ein Mastbruch, das war klar, würde mehr oder weniger einen Totalschaden bedeuten. Montag war, wie so oft in Griechenland, ein Feiertag, also legten wir am Dienstag in der Marina Gouvia an und standen Errikos gegenüber. Dieser machte Mut, man würde heute schon mit den Vorbereitungen starten, morgen den Mast entfernen und das stehende Gut im Laufe der Woche ersetzen. Jedoch habe sein Chef-Rigger ihn gebeten, uns mitzuteilen, dass wir den Mast vermutlich nicht bis Ende der Woche zurückerhielten, sondern es wohl erst Anfang nächster Woche etwas werden würde. Das war anders besprochen, aber gut, ein paar Tage hin oder her machten den Kohl nicht fett, und so begannen die Arbeiten. Der Mast wurde mit einem großen Kran entfernt (wir sprachen medizingeschädigt immer von der „Mastektomie“) und an Land aufgebahrt, um im Laufe der folgenden Tage mit neuem Material bestückt zu werden. Was das kostet, solltet ihr besser gar nicht erst fragen… Nach Möglichkeit versuchten wir, jeden Nachmittag wieder aus der Marina abzuhauen und draußen zu ankern, denn auch die Übernachtung kostete je nach Tag 76-90€. Dafür waren immerhin ein kaum funktionierendes WLAN und alte Campingplatztoiletten inklusive sowie freier Zugriff auf Salzwasserhähne. Für Süßwasser wären 14€ Zuschlag fällig gewesen.

 

Beim Ankern fiel jedoch auf, dass das Brett, auf dem die leistungsstarke Ankerwinsch befestigt war, morsch war und sich bei jedem Aufholen des Ankers gefährlich nach unten durchbog. Wir befragten zwei Bootsmechaniker dazu und sie versicherten uns unabhängig voneinander glaubhaft, dass das Brett schon angebrochen sei. Ein Austausch war nötig, damit uns nicht irgendwann beim Anker aufholen die gesamte Platte mitsamt Winsch in hohem Bogen über Bord fliegen würde, und so kam Nikos ins Spiel. Ein netter griechischer Familienvater (wie wir lernten), der uns für viele, viele weitere Euros ein neues Brett als GFK-Sandwich anfertigen und einpassen würde. Eine Wahl hatten wir nicht und so sagten wir zu. Eine Woche würde er brauchen, maximal, und so konnten immerhin beide Reparaturen zeitgleich ausgeführt werden. Ankern konnten wir jedoch logischerweise nicht mehr und so investierten wir viel Geld in die Marina Gouvia und bekamen zum Dank lauthals grölende italienische Chartercrews als Nachbarn oder durften den von der Marina-Bar organisierten „Spanischen Abend“ miterleben, das bedeutete vollen Bassklang über alle Stege hinweg bis nachts um 3 Uhr. Tagsüber brüteten wir in der schwülen Hitze und es war kaum möglich, Arbeiten unter Deck zu erledigen, allenfalls in den frühen Morgen- und späten Abendstunden. Für Sport war es auch zu warm, durch die überfüllte, wenn auch schöne Innenstadt zu spazieren hatten wir auch bald satt und so vegetierten wir vor uns hin und kamen an guten (windigen) Tagen ein bisschen mehr und an schlechten Tagen kaum mit den Bootsarbeiten voran. Die Stimmung war am Boden. Passanten, die uns schadenfroh ein „euch fehlt da was“ oder „nice motorboat“ entgegenwarfen, verbesserten das Gefühl kaum. Erst recht, als uns Errikos auf mehrmalige Nachfrage mitteilte, dass das Rigg doch noch länger brauchen würde und uns von Tag zu Tag auf den nächsten vertröstete.

 

Am Ende wurde es nicht zum Ende der ersten Woche und nicht zum Anfang der folgenden, sondern erst zum Ende der folgenden fertig. Nikos hingegen kam täglich vorbei, setzte sich unter seinen mitgebrachten Sonnenschirm aufs Vorschiff und bastelte an der neuen Befestigungsplatte für die Wisch. Ab und zu brachte er uns einheimisches Ginger Ale in verschiedenen Geschmacksrichtungen mit, setzte sich mit uns ins Cockpit und quatschte zwei Sätze in gebrochenem Englisch, bevor er wieder von dannen zog. Das waren immer die nettesten Momente in der gefühlt feindlichen Marina, die uns regelrecht das Geld aus der Tasche zog.

Das Wochenende nutzten wir, um unter Motor nach Plataria zu fahren, wo Tina uns netterweise eine alte (aber ganze!) nicht mehr benötigte Genua übergab. Das Segel war zwar zu kurz, aber besser als gar keins und so würden wir nach dem Wiedereinbau des Mastes bis zur Fertigstellung unserer neuen Genua immerhin mit zwei Segeln segeln können. Wir rollten das Tuch aus und überraschenderweise war es von Walter Benrowitz angefertigt worden, Am Pichelssee in Berlin-Spandau, der Segelmacher aus dem Nachbarhaus! Zufälle gibt’s. Sogar ein Berliner Bär war am Vorliek aufgedruckt.

 

Am Freitag gaben alle Beteiligten noch einmal Vollgas und arbeiteten bis zum Abend, Nikos an der Ankerwinschbefestigung und Errikos Team am Rigg. Trotz aller Frustration kam dann gegen 19 Uhr der tolle Moment, als der Mast wieder stand, die Ankerwinsch wieder angeschlossen war und plötzlich ein funktionstüchtiges Segelboot vor uns stand. Nach einem Handschlag legten wir ab und fuhren die halbe Seemeile hinaus in die Ankerbucht vor der Marina. Der Abend wurde perfekt: Sternenklar und von den Lichtern der die Bucht säumenden Hotels umgeben lauschten wir in der absoluten Exklusivität unseres Cockpits dem Open-Air-Jazzkonzert an Land, während wir unser Abendessen genossen. Glücklich, dass wir den Reparaturmarathon endlich hinter uns hatten und viele zu entdeckende Orte nun auf uns warteten.

Die „Wasserfahrt“

Es ist geschafft! Nach viel Arbeit und einigen Unwegsamkeiten ist Moana nach acht Jahren Trockenheit endlich in ihr natürliches Element, das Wasser, zurückgekehrt. Fredis Eltern waren auch dabei und halfen tatkräftig bei den letzten (dachten wir…) Reparaturen mit. Unsere Aufregung war groß, als das fast zehn Tonnen schwere Schiff von einem antiquierten Traktor von der Werft über die staubige Brachfläche zur selbstgebauten Mini-Kaimauer gezogen wurde, wo uns der Kran mit stoischer Gelassenheit erwartete. Der Kran, jedoch nicht der Kranführer, letzterer traf landesüblich erst zwanzig Minuten später ein, stellte sein klappriges Mofa in die Ecke und zündete sich eine Zigarette an. Und dann ging es auch schon los. Gurte wurden befestigt, Leute riefen sich hektisch wichtige Dinge auf Griechisch zu und schon schwebte Moana in wenigen Metern Höhe zur Seite und wurde langsam ins Meer abgesenkt. Gespannt gingen wir zusammen mit dem österreichischen Motorexperten Herbert an Bord. Alle Seeventile waren dicht und es blieb absolut trocken im Schiff. Eine erste gute Nachricht.

 

Frederikes Vater Andreas ist Chemiker und in seiner großen Pharmafirma testet man neu konstruierte Anlagen vor der ersten richtigen Benutzung dadurch, dass man statt der eigentlichen oft zig- bis teilweise hunderttausende Euro teuren Substanzen erstmal Wasser durchlaufen lässt. So riskiert man bei Fehlfunktionen nicht den Verlust der teuren Charge. Das nennt sich im Fachjargon „Wasserfahrt“ und so gab Andreas auch unseren ersten Testtagen im Wasser diesen passenden Spitznamen, nur dass in unserem Fall nicht Wasser durch die Anlage fährt, sondern die Anlage durchs Wasser. Und dass wir nicht planen, später mit unserem Schiff durch teure Chemikalien zu fahren, nur fürs Protokoll. Aber so hatte sich das Wort bei uns schnell etabliert und wir waren bereit für unsere Wasserfahrt!

 

 

Herbert startete den Motor und nach kurzem Zögern lief er trotz langer Ruhezeit problemlos an. Doch zu früh gefreut: Trotz frisch getauschten Impellers kam kein Kühlwasser aus dem Auspuff, der Motor würde ohne Seewasserkühlung über kürzere Zeit heiß laufen und versterben. Mehrere Versuche einer schnellen Diagnose und Therapie versagten und so war schnell klar: Aus der Wasserfahrt wird erstmal nichts. An der Kaimauer konnten wir nicht bleiben, denn nachmittags würde der üblicher Nordwestwind einsetzen und die mit ihm heranrollende Welle uns an der Mauer zermalmen. Am besten, sagte Herbert, sei es, das Boot wieder herauszukranen. Da hatten wir so lange auf diesen Moment gewartet und dann das. Die Enttäuschung stand uns ins Gesicht geschrieben. Doch schweren Herzens stimmten wir zu, das Boot sollte wieder zurück an Land. Aber der Kranführer war in der Zwischenzeit schon wieder abgehauen, die Option war weg. Wir könnten den Motor kurz starten, um von der Mauer wegzukommen, zum Hafen hinübersegeln und dort unter Segel oder kurzzeitigem Motoreinsatz anlegen. Aber wenn irgendetwas nicht klappen sollte, und das wäre durchaus realistisch, hätten wir die Wahl zwischen einem kaputten Motor und einem Abschalten des Motors und Zerschellen am Ufer. Fischer Dimitri, so sagte einer der Leute vor Ort, könnte uns für 50€ mit seinem Boot in den Hafen schleppen. Für die halbe Seemeile war der Preis maßlos übertrieben, aber mangels sicherer Alternativen willigten wir zähneknirschend ein und kurze Zeit später hingen wir für wenige Minuten an einer langen Leine hinter einem tuckernden Fischerboot, um nach wenigen Minuten im Hafen von Plataria festzumachen.

 

 

Bei über 35°C Außentemperatur machte es sich Herbert im Motorraum bequem. Schweiß strömte über sein Haupt und unter lautem Fluchen („an Scheeiß is doch des!“) werkelte der 60-jährige ausgewanderte Österreicher an unserer Maschine herum. Testete dies und das, entfernte ein riesiges verlassenes Wespennest aus der Luftzufuhrleitung und konnte schließlich einen durchkorrodierten Krümmer als Übeltäter identifizieren. Was dieser war, wusste ich nicht genau, aber er schien immerhin wichtig zu sein. Ein Spenderorgan musste her und das erhielten wir im anderthalb Autostunden entfernten Lefkas, gegen eine Spende von 400€. Bereits am nächsten Tag war das neue Teil eingebaut und wir unternahmen einen neuen Startversuch. Der Motor sprang problemlos an und wir ließen ihn an der Pier sicherheitshalber erst einmal zehn Minuten lang laufen. Nachdem er über die gesamte Zeit brav Kühlwasser ins Hafenbecken erbrach und auch sonst nichts auffällig war, legten wir ab. Ein anderes Boot hatte seine Ankerkette über unsere gelegt (keine Seltenheit in griechischen Häfen) und nachdem wir unseren Anker nach weiteren fünf Minuten befreit hatten, freute ich mich schon auf die Hafenausfahrt. Die letzten 10m Ankerkette wollten noch aufgeholt werden, als plötzlich stinkender Rauch aus dem Motorraum aufstieg. Sch… Ich stoppte die Maschine und rief zum Bug, dass Fredi den Anker nicht weiter aufholen solle. Bei relativ wenig Wind hielt uns die verbleibende Kette glücklicherweise und wir schwojten (so heißt das Bewegen des Schiffs vor Anker) wenige Meter vor den Bugspitzen einer englischen Flottille. Deren Crews eilten uns netterweise mit einem motorisierten Beiboot und mehreren Leinen ziehenden Händen auf den Schiffen zu Hilfe und gemeinsam bugsierten wir die Moana in eine freie Lücke an der Pier zurück. Herbert wurde angerufen, Reklamation! Gemeinsam mit Andreas nahm er die Maschine erneut auseinander und die beiden freundeten sich an. Neben dem zufälligen Partnerlook besiegelte die Feststellung, dass beide Baujahr 1962 sind, die Freundschaft endgültig. Unter vielem weiteren Schweiß, aber kaum noch Fluchen (Andreas schien einen positiven Einfluss auf Herbert zu haben) stellten die beiden fest, dass es sich um ein elektrisches Problem handelte und der Entlüftungsventilator für den Motorraum wegen einer herausfliegenden Sicherung immer wieder keinen Strom erhielt. Dieses Problem konnte glücklicherweise schnell gelöst werden und so ging es einen weiteren Tag später hinauf aufs Meer und unter Segeln in eine tolle Ankerbucht mit Höhle auf Paxos! Wasserfahrt mit einigen Komplikationen vorerst erfolgreich.

Die Vorbereitungen

Plataria/Griechenland. Viele Male waren wir inzwischen schon dort und wie eine Ewigkeit kommt es uns vor, dass wir „damals“ unser Boot vor dem Kauf besichtigten und anschließend lange am Strand saßen, hin- und hergerissen, ob wir es wirklich kaufen sollen oder doch nicht, ob wir das Abenteuer wagen sollten oder nicht. So viele Male, dass wir inzwischen wissen, dass man den Ortsnamen, für Deutsche unintuitiv, auf der letzten Silbe betont, also „Pla-ta-ri-A“, nicht „Pla-TA-ri-a“, wie wir bis dahin dachten. So viele Male, dass wir inzwischen sämtliche Straßenhunde kennen und extra für sie eine Packung Futter an Bord deponiert haben. So viele Male, dass wir inzwischen eine genaue Vorstellung haben, wo wir Dichtmittel, Schlauchschellen, Batterieklemmen, Feta und nach frustrierend misslungenen Reparaturarbeiten auch Ouzo erwerben können. Aber nur eine Vorstellung, denn vieles gibt es dort ohnehin gar nicht. Der nächste echte Baumarkt ist über eine Stunde mit dem Auto entfernt, weit weg in den Bergen bei Ioannina, und auch dieser ist klein und schlecht sortiert. Manchmal weiß der britische Werftbesitzer Michael, welcher Freund über drei Ecken vielleicht jemanden kennt, der einen 32er Maulschlüssel haben könnte. Wolfgang und Tina, zwei ausgewanderte Deutsche und Segelyacht-Profis, waren ebenfalls oft eine große Hilfe, wenn es um Werkzeug, Beratung oder zu erledigende Reparaturen ging. Insgesamt ist Plataria jedoch sehr abgelegen und wir mussten lernen, dass gute Planung und gezielte Einkäufe vor unseren Aufenthalten dort essenziell sind, um vor Ort produktiv zu sein. Da fehlte es dann mitunter an einem 40cm langen Verbindungskabel, um weder Kartenplotter noch Radar fertig anschließen zu können. Ja, viel Frust und Ärger hatten wir mit unserem neuen Boot, aber auch viele Erfolgsmomente und viel Vorfreude darauf, wie unser Ziel, das Boot irgendwann zu Wasser zu lassen und auf Langfahrt zu gehen, mit jedem Mal etwas näher rückte.

Wie fing das ganze eigentlich an? Der Grundstein wurde während Fredis Praktikum auf Rarotonga/Cook-Inseln gelegt. Ich kam für unseren anschließenden gemeinsamen Urlaub nach und die Reise war begleitet von einem Gefühl von Freiheit in der großen weiten Welt. Inspiriert von vielen weltreisenden Backpackern und der einen oder anderen Eigneryacht, die dort im Hafen oder vor Anker lag, saßen wir eines Abends im Hostel in der Couchecke unter der großen dort hängenden Weltkarte. Es war eine Karte mit amerikanischem Layout, also Europa ganz links, Amerika ganz rechts und in der Mitte der Pazifische Ozean mit seinen tausenden Südseeinseln. Wir studierten die Karte und träumten von der großen Freiheit einer langen Segelreise. Was wir bis dahin immer als vor allem finanziell nicht machbar abgetan hatten, wenn wir kurz ins Träumen gerieten, entpuppte sich beim genaueren Durchrechnen als durchaus möglich. Klar, beim Bootskauf dürften wir nicht allzu wählerisch sein und selbst dann war klar, dass wir so ziemlich alle Hosen herunterlassen mussten, um eine gebrauchte Segelyacht zu kaufen, wenn sie solide und seetüchtig sein sollte. Aber es war möglich und so wurde der Traum langsam zum Plan. Im folgenden Jahr sichteten wir den Gebrauchtbootemarkt im Internet regelmäßig, klickten schweren Herzens die vielen schönen Yachten weg, die wir gern hätten, aber uns sowieso nicht leisten konnten, und nahmen die vielversprechenderen Kandidatinnen in unserer Preisklasse jeweils genauer unter die Lupe. Fredi wünschte sich in anfänglicher Motivation ein Boot, an dem es noch viel zu basteln gab, denn gern würde sie ein solches zu ihrem Projekt machen und ihre Träume umsetzen. Ich als Bastel-Legastheniker hingegen wünschte mir ein Boot, das möglichst segelfertig sein sollte. Wenig Arbeit, viel Segeln, mit diesem Motto hatte ich bereits zuvor mit meiner Teilzeitstelle glückliche Jahre verlebt. Letztendlich weckte die Anzeige einer alten Bavaria 390 Lagoon mein Interesse, denn neben der für unsere Zwecke perfekten Aufteilung mit großer Eignerkajüte und dennoch zwei Gästekajüten hatte die Yacht laut Ausschreibungstext einiges an Extras zu bieten, die für die lange Fahrt von Wert sein dürften. Solarzellen, Windgenerator, ein vom ständigen Neukauf von Gasflaschen unabhängiger Dieselherd, Maststufen und ein richtig schwerer Anker mit Ankerwinschfernbedienung im Cockpit waren nur einige dieser Dinge. Und der geforderte Kaufpreis wirkte auch mehr als fair. Allerdings war die Anzeige schon drei Jahre alt und die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich bei der Anzeige entweder um eine Karteileiche handelte oder aber, dass die Sache einen Haken hatte, und zwar über den zum Inventar gehörenden Bootshaken hinaus. Auf meine erste Mail an die vermittelnde kroatische Agentur erhielt ich keine Antwort und wir sahen uns weiter nach anderen Booten um. Viele Monate später stieß ich zufälligerweise erneut auf die Anzeige. Das Boot war immer noch online und so rief ich kurzerhand bei der Agentur an. Ja, das Boot sei noch verfügbar und der Eigner wohl gut situiert, denn aktiv bemüht sei er nicht, das Boot loszuwerden. Der Kontakt zum Eigner wurde hergestellt und er wirkte fast überrascht, hatte er schließlich kaum noch geglaubt, dass sich jemand auf die Anzeige melden würde. Aber ja, er wolle nach wie vor gern verkaufen. Und so nahm alles weitere seinen Lauf: Wir fuhren nach Plataria, besichtigten das Boot und unser erster Eindruck war gut. Fakten und Fotos ersetzten schließlich nicht das Gefühl, dass man beim Betreten eines Bootes hat. Wirkt es gemütlich? Stinkt es? Fühlt man sich an Bord wohl oder nicht? Den ersten Test hatte die alte Bavaria bestanden und so bestellten wir einen Gutachter, denn die Grundsubstanz konnten wir beim besten Willen nicht selbst beurteilen. Dieser attestierte, dass das Boot gut in Schuss war, stellte aber auch einige Mängel fest, der gravierendste war ein Riss im Ruderblatt, dessen Tiefe nicht ganz klar war und der schlimmstenfalls einen Austausch des gesamten Ruderblatts zur Folge haben würde. Damit gelang es uns, den Kaufpreis noch mal deutlich herunterzuhandeln und so schlugen wir zu. Ein ganz besonderer Dank gilt an dieser Stelle meinem Vater, der uns mit einer stattlichen Summe unterstützte.

Das Ruderblatt ließen wir vom Fachmann reparieren und was die übrigen Reparaturen anging, starteten wir völlig blauäugig in die Unternehmung. So ersetzten wir etwa die modrig-fleckige Deckenverkleidung im Salon für viel Geld und in vielen Arbeitsstunden, um ein halbes Jahr später festzustellen, dass die Flecken von Undichtigkeiten im Deck herrührten und unsere nagelneue Verkleidung nach den Regenfällen im Winter jetzt auch durchfeuchtet und voller Stockflecken war. Mit vielen Kraftausdrücken rissen wir sie wieder herunter, ermittelten die porösen Stellen, dichteten sie ab und dann begann das Spiel ein nächstes(und hoffentlich letztes) Mal von vorn. So erging es uns mit mehreren Sachen und wir gelobten, beim nächsten Boot mit der entsprechenden Erfahrung alles besser zu machen. Wir lernten jedenfalls, bloß nichts mehr anzufassen, was irgendwie hält und funktioniert. Fredi wurde nach anfänglichem Optimismus zunehmend frustrierter vom Bootsbau und wurde nach anfänglichem Pessimismus zunehmend motivierter, gelangen uns schließlich doch viele Dinge, von denen ich zuvor keinerlei Ahnung hatte und die ich mir eigentlich nie zugetraut hätte. Wie zum Beispiel die eigenständige Installation einer Meerwasserentsalzungsanlage. So trafen wir uns irgendwann quasi auf halber Strecke und die Diskussionen „nichts tun“ vs. „alles erneuern“ versiegten.

Aber was genau haben wir eigentlich alles gemacht und machen lassen? Hier eine Zusammenstellung. An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an alle, die uns bei den Arbeiten geholfen haben! Das waren ganz besonders „Chefingenieur“ Andreas sowie Claudia, Sabine, Bici, Alex, Henni und Felix.

  • Einbau eines Fäkalientanks für das Vorschiffs-WC
  • Wärmeisolation der Achterkajüte und Teilen des Salons
  • Abdichtung diverser Luken und Durchführungen
  • Putzen und Polieren sämtlicher Luken und der Sprayhood
  • Einbau eines neuen Plexiglas-Oberlichts im Salon
  • Grundreinigung sämtlicher Polster
  • Einbau einer Meerwasserentsalzungsanlage
  • Austausch dreier nicht mehr gängiger Seeventile
  • Einbau einer neuen Toilette im WC achtern
  • neue Deckenverkleidung im WC achtern, in der Achterkajüte und im Salon
  • Ersatz zweier frakturierter Stufen im Niedergang
  • Abschleifen und Lackieren verschiedener Holzflächen und -wände sowie des Bootshakens
  • Einbau eines neuen Radars
  • Einbau eines neuen Multifunktionsdisplays
  • Austausch der defekten Batteriebank
  • Austausch und „Pimpen“ der Solarpanele
  • neuer MTTP-Solarladeregler
  • Teakdeck-Refit: Abschleifen und neue Verfugung, wo indiziert
  • Restaurieren der alten Lampen
  • Ausbesserung multipler Gelcoatschäden
  • Austausch/Reparatur diverser Kabelverbindungen und Sicherungen
  • Restaurierung des Cockpittischs
  • neues Beiboot mit Elektroaußenbordmotor
  • komplette Motorwartung mit Austausch der Verschleißteile
  • neue Feuerlöscher
  • neue Rettungsinsel
  • Demontage und Ersatz der alten Gangway
  • Antifeuchtigkeitsunterlagen für die Matratzen
  • Entfernen des verfärbten Spiegels
  • Einbau einer zusätzlichen Arbeitsplatte in der Kombüse
  • Anbringen diverser Haken, Magnetleisten u.v.m.
  • Ersetzen aller Leuchtmittel durch LED
  • Ersetzen diverser ranziger Türschwellen
  • Leimen kaputter Rahmen an zwei Schränken/Türen
  • Neuanstrich und Abdichtung des Steuerstands
  • Entfernen der alten Stereoanlage
  • Entfernen der alten Klimaanlage
  • Erneuern diverser Belüftungsöffnungen
  • Überholung von Genua, Sprayhood und Bimini durch Segelmacherin
  • Abbau der alten Gangway und Ersatz
  • neue Trittstufe am Bug
  • neuer Zweitanker nebst Kettenvorlauf und Ankerleine
  • Reparatur des Ankerkettenzählwerks
  • neue Festmacherleinen inkl. zwei 50m-Schwimmleinen
  • neue Automatikrettungswesten mit Lifebelts und Lifelines
  • Austausch des gesamten laufenden Guts
  • Motorservice inkl. Austausch diverser Verschleißteile
  • grundlegende Optimierung des Beleuchtungskonzepts
  • neuer Antifoulinganstrich für das Unterwasserschiff
  • Einbau einer elektrischen Bilgenpumpe
  • Reinigung von Wasser- und Dieseltanks

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